7.1.2.
Zur preußischen Verwaltungsreform
(Staatsminister z. D. Dr. v. Hentig)
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XVIII. Jahrg. Deutsche Juris ten-Zeitung. 1913 Nr. 1.
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Bundesrate zu beschließen; darin liegt eine Garantie
gegen Mißbrauch des Art. 19, da jede Regierung
sich vorstellen wird, daß auch sie in eine gleiche
Lage kommen könnte. Auch ist sie ihrem Land-
tage für die Instruktion ihrer Bundesratsbevollmäch-
tigtenverantwortlich; es ist daher wohl ausgeschlossen,
daß der Bundesrat die Exekution beschließen würde,
wenn ihre Notwendigkeit nicht unleugbar ist.
Wie aber ist die Exekution in einem solchen
Falle zu vollstrecken? Die RV. sagt darüber nichts,
als daß die Exekution vom Kaiser zu vollstrecken
ist. Dem Kaiser ist es also vollkommen überlassen,
diejenigen Mittel und Wege zu wählen, welche ihm
nach Lage des Falles geeignet scheinen. Er kann
also auch die Vollstreckung in der Weise vornehmen,
daß er den Landesherrn oder Minister des betreffen-
den Bundesstaates damit beauftragt und ihn ermäch-
tigt, die gesetzlich begründeten Einnahmen zu er-
heben und die auf Gesetz beruhenden oder sonst
unentbehrlichen Ausgaben zu leisten. Alsdann hat
die Regierung alle Rechtsbefugnisse, welche ihr durch
den kaiserlichen Auftrag eingeräumt sind, ohne an
die Schranken des Landesetatsrechts gebunden zu
sein; denn diese Befugnisse wurzeln im Art. 19 der
RV., und daher trifft in diesem Falle der Grundsatz
zu, daß das Reichsrecht denä Landesrecht vorgeht.
Man wird vielleicht einwenden, daß man bei
der Abfassung der Nordd. Bundesverfassung und der
Reichs Verfassung an diese Anwendung des Art. 19
nicht gedacht habe und er nicht zu diesem Zwecke
aufgenommen worden sei. Dies ist aber unerheb-
lich; es kommt darauf an, was ein Gesetz erklärt,
nicht darauf, ob die Personen, welche es verfaßt
haben, sich der vollen Tragweite der Bestimmung
bewußt waren und alle Anwendungsfälle voraus-
gesehen haben. Es ist richtig, daß die ursprüng-
liche Tendenz des Art. 19 dahin ging, die Unter-
ordnung der Bundesstaaten unter die neuerrichtete
Bundesgewalt zu sichern, und daher gegen reichs-
feindliche Bestrebungen der Regierungen gerichtet
war. Diese Sorge hat sich als unbegründet erwiesen;
alle Bundesglieder ohne Ausnahme haben zu allen
Zeiten ihre Bundespflichten treu und vollständig erfüllt,
und der Gedanke an eine Bundesexekution ist über-
haupt noch niemals aufgetaucht. Aber das Auf-
kommen und der wachsende Einfluß einer der be-
stehenden Rechtsordnung feindlich gegenüberstehen-
den Partei begründen die Gefahr, daß das Recht
der Mitwirkung des Landtages an der Feststellung
des Etats mißbraucht wird, um ein der Majorität miß-
liebiges Ministerium zu stürzen, und daß durch Ob-
struktion, absichtlich herbeigeführte Beschlußunfähig-
keit oder Verweigerung der Mittel für unentbehrliche
Amtsstellen das Zustandekommen des Etatsgesetzes
in tendenziöser Weise verhindert wird. Daher ist
die Erkenntnis nicht ohne Bedeutung, daß auch das
Reich an dem Zustandekommen der Etatsgesetze in
den Bundesstaaten ein rechtsbegründetes Interesse
hat und daß die Regierungen der Bundesstaaten ihren
Landtagen nicht völlig schutzlos gegenüberstehen,
wenn dieselben von ihren Befugnissen einen rechts-
widrigen Gebrauch machen. Der Satz der Einleitung
der Reichsverfassung, daß der Bund geschlossen sei
„zum Schutze des Bundesgebietes und des inner-
halb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege
der Wohlfahrt des deutschen Volkes“, findet auch
Anwendung, wenn das gültige Recht oder die Wohl-
fahrt des deutschen Volkes von dem Landtag eines
Bundesstaates verletzt wird.
Den vorstehenden Ausführungen wird man viel-
leicht den Vorwurf machen, daß sie eine Doktor-
frage ohne praktisches Interesse behandeln; ich kann
nur wünschen, daß dieser Vorwurf sich stets als
begründet erweise und niemals in einem Bundes-
staate die Anwendung des Art. 19 der RV. praktisch
werde, weder wegen des Verhaltens der Regierung
noch wegen des Verhaltens des Landtages.
Zur preußischen Verwaltungsreform.
Vom Staatsminister z. D. Dr. Otto von Hentig, Berlin.
Eulen nach Athen tragen hieße es, wenn an
dieser Stelle noch einmal die nach Wert und Um-
fang uneinschätzbaren Veränderungen dargestellt
würden, die in unserem Staats- und Rechtsleben
seit Beginn des vorigen Jahrhunderts eingetreten
sind. Ebensowenig bedarf es hier eines Hinweises
darauf, in welchem Maße die an sich naturgemäße
Wirkung jener Veränderungen auf Gang und Ge-
staltung der Staatsverwaltung tatsächlich hervorge-
treten ist oder noch aussteht. Jedenfalls wird in
Preußen das Bedürfnis einer vollkommeneren An-
passung des Räderwerks unserer Verwaltung an die
Befriedigung heischenden Bedürfnisse der Gegen-
wart seit Jahrzehnten weithin empfunden. Keine
bedeutsamere Anerkennung konnte diese Forderung
finden als durch den Königlichen Erlaß v. 7. Juni
1909, der eine Immediatkommission mit dem Auf-
träge berufen hat, gutachtliche Vorschläge für die
Reform der gesamten inneren Verwaltung auszu-
arbeiten. Entsprechend dem Wachstum des Schnellig-
keitskoeffizienten im Gesetz der modernen Ent-
wicklung bestimmt auch die Allerhöchste Anordnung,
daß der Gegenstand schnell gefördert werden solle.
Nun ist es wohl klar, welche Unsumme mehr
oder weniger beachtenswerter Schwierigkeiten der
Reform eines Verwaltungssystems entgegenstehen,
das aus ruhmreicher Zeit stammt und fest mit dem
Boden seines Geltungsbereiches verwurzelt ist, dessen
Träger immerdar nach bestem Wissen ihrem Staat
redlich und pflichttreu gedient haben. Aber dennoch
bleibt es bedauerlich, daß im Laufe der inzwischen
verflossenen Zeit von über 3 Jahren größere Ergeb-
nisse der Arbeiten jener Kommission bisher nicht
haben zutage treten können. Gewiß würde es zur
Ueberwindung der augenscheinlich obwaltenden
Hindernisse beitragen, wenn eine allgemeine und
lebendige Teilnahme an dem für jeden einzelnen
Staatsbürger empfindlich wichtigen Werke in weiteren
Kreisen erweckt und entwickelt werden könnte.
Diesem Zweck soll die Geltendmachung einiger