18.1.3.
Der Entwurf eines Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse
(RGR. Conrad)
765
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 12.
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Der Entwurf eines Gesetzes gegen den
Verrat militäriseher Geheimnisse.
Von Reichsgerichtsrat Conrad, Leipzig.
Nach dem Vorgänge anderer Staaten ist auch
die deutsche Reichsregierung dankenswerterweise
dazu geschritten, die bessernde Hand an die Spionage-
gesetzgebung zu legen. Am 23. Mai 1913 ist dem
Reichstage der Entwurf (Drucks. Nr. 1003) zuge-
gangen. Die Vorlage geht von der Auffassung aus,
daß das geltende Gesetz vom 3. Juli 1893x) sich
im allgemeinen bewährt habe, indes doch eines
Ausbaues bedürfe. Bei grundsätzlicher Aufrecht-
erhaltung der Leitgedanken und Tatbestände des
Gesetzes bildet der Entwurf mit seinen 20 Paragraphen
(gegen 12 des Gesetzes) in gewißem Sinne eine
erweiternde Zusammenfassung aller strafrechtlichen
Vorschriften zum Schutze des Reiches gegen fremd-
ländische Spionage. Was in der Begründung zur
Rechtfertigung der Ziele des Entwurfs ausgeführt
wird, kann nur als zutreffend anerkannt werden.
Jedenfalls ist eine Ausdehnung des Schutzes der
Landesverteidigung dringend geboten.
Nachfolgend seien die wichtigsten Neuerungen
besprochen:
I. Die Einbeziehung der „Nachrichten“.
Die Vorlage schließt sich an das Gesetz an, erwähnt
aber neben den bisher schon geschützten „Schriften,
Zeichnungen oder anderen Gegenständen“ auch noch
„Nachrichten“. Damit kehrt der Entw. zu dem
Standpunkt der Regierung im Jahre 1892 zurück, der
jedoch von dem Reichstage nicht gebilligt wurde.
Man hatte namentlich das Bedenken, der Ausdruck
„Nachrichten“ sei wegen seiner Unbestimmtheit als
Tatbestandsmerkmal ungeeignet. Dem Hinweis auf
dasselbe Merkmal in § 92 Abs. 1 Nr. 1 StrGB. hielt
man entgegen, daß dort wegen der Beschränkung
auf Mitteilungen an eine „Regierung“, also an
einen bestimmten Empfänger, keine mißbräuchliche
Auslegung der Wendung „Nachrichten“ zu be-
fürchten sei.
Es fragt sich, ob überhaupt ein Bedürfnis dafür
vorliegt, auch „Nachrichten“ in den Schutzbereich
einzubeziehen. Dabei muß zunächst hervorgehoben
werden, daß die Neuerung keineswegs den großen Um-
fang hat, den man ihr auf den ersten Blick zuschreiben
könnte. Unter „Nachrichten" sollten nach der Erläute-
rung des Bundesrats Vertreters von 1893 verstanden
werden: „Tatsachen, die einem anderen mitgeteilt
werden." Dem wird man auch im Sinne des Ent-
wurfs beizutreten haben, allerdings nur mit einer
Einschränkung. In den Bereich der „Nachrichten"
fallen nicht Mitteilungen, die sich als Beschreibung
oder Kennzeichnung eines Gegenstandes darstellen,
die sich über die körperlichen Eigenschaften einer
Sache, ihre Gestaltung und Zusammensetzung ver-
halten. Derartige Mitteilungen sind sprachlich
gewiß ebenfalls den „Nachrichten" zuzurechnen, aber
der Standpunkt des Gesetzes ist enger, sofern sie
die Kenntnis von dem Aussehen, der Beschaffenheit
lj Im übrigen hier immer als »Gesetz“ angezogen.
oder Einrichtung eines militärisch geheimen Gegen-
standes von einer auf die andere Person über-
tragen. Mitteilungen solcher Art scheiden aus dem
Gebiete der vom Gesetz nicht umfaßten bloßen „Nach-
richten" aus und fallen unter das Gesetz, weil sie
dazu bestimmt und geeignet sind, geheim zu
haltende — bewegliche oder unbewegliche — Gegen-
stände zur Kenntnis anderer zu bringen.
Diesen Standpunkt hat das RG. bis zur Gegen-
wart festgehalten und deshalb stets angenommen,
daß auch unbewegliche Gegenstände, Befestigungen,
Küstenstriche, Brücken, Wege u. dergl. durch münd-
liche Berichte zur Kenntnis eines anderen gelangen
können, daß also hierbei nicht „Nachrichten“ in
Frage stehen, die eine Anwendung des Gesetzes
nicht rechtfertigen würden.
Von dem Boden dieser Rechtsprechung aus
muß der Entwurf verstanden werden, so daß die
Abweichung sich nur auf Nachrichten bezieht, die
nicht diesen Inhalt haben. Als Beispiele erwähnt
die Begr. u. a. Mitteilungen betr. Neuerungen auf
dem Gebiete des Bewaffnungswesens, Zusammen-
ziehungen von Truppen, Ergebnisse von Schieß-
versuchen, Verwendung gewisser Stoffe für maschi-
nellen Antrieb u. dergl. Unbedenklich fallen auch
von den in § 11 aufgezählten Nachrichten die über
Truppen- oder Schiffsbewegungen in diesen Rahmen;
dagegen würden Mitteilungen über die Verteidigungs-
mittel, sofern und soweit darunter „Gegenstände“
zu verstehen sind, schon jetzt den Schutz des Ge-
setzes genießen.
Daß bei dem so begrenzten Kreis von Nach-
richten nicht selten Interessen in Frage kommen,
die für die Landesverteidigung von höchster Wichtig-
keit sind, ist nicht zweifelhaft. Es muß deshalb
grundsätzlich das Bedürfnis, so geartete Nachrichten
gleichfalls gegen Verrat zu schützen, anerkannt
werden. Nur die Frage wird zu entscheiden sein,
in welchem Umfange der Schutz einzutreten hat, weil
neben dem Interesse der Landesverteidigung als be-
rechtigt auch das der Bevölkerung, von dem, was in
Heer und Marine vorgeht, unterrichtet zu werden,
anerkannt, und weil ferner verhütet werden muß,
daß jemand wegen einer für unschuldig gehaltenen
Mitteilung dem Gesetze verfällt.
Verkennen läßt sich nicht, daß auch jene Bei-
spiele dem Ausdruck „Nachrichten“ noch keine un-
bedingt zuverlässige Abgrenzung geben, doch wird
seiner V er Wendung für die Herstellung der Spionage! at-
bestände nichts entgegenstehen, soweit dazu Vorsatz
erfordert wird. Allerdings wird das Merkmal „Nach-
richten“ durch die Aufnahme in § 1 zum Bestandteil
der einzelnen Vorschriften, und ein Irrtum des Täters
über den Rechtsbegriff „Nachrichten“ könnte ihn nicht
vor Strafe schützen, weil ein solcher Irrtum nach der
Rechtsprechung als strafrechtlicher anzusehen wäre
und den Vorsatz nicht beseitigte. Den Ausgleich
würde aber der Gesichtspunkt schaffen, daß der
Täter, soll er schuldig befunden werden, sich dessen
bewußt gewesen sein muß, es handle sich um eine
Nachricht, deren Geheimhaltung notwendig sei.