17.1.2.
Ertragswert oder gemeiner Wert?
Eine Studie zum Wehrbeitragsgesetz
(Geh. ORegR. Dr. Hoffmann)
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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 11.
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fassung! Auch hier würde, wenn der Artikel der
Nordd. Allg. Ztg. recht hätte, das princeps legibus
solutus gelten; „die ganze Frage des Verfassungs-
bruches wäre damit von der Rechtswissenschaft in
die Ethik verwiesen“ (Jellinek a. a. 0. 420).
Wäre aber selbst das Verhältnis von Staat und
Fürst in den Einzelstaaten so beschaffen, wie der
Gegner es sich vorstellt, so dürfte doch, wie bereits
angedeutet, daraus nicht gefolgert werden, daß auch
im Reich dasselbe Verhältnis zwischen der Reichs-
gewalt und den ßundesfürsten obwalten müsse.
Der Satz „nemo plus juris“ usw. ist hier fehl am
Ort. Die Einzelstaaten haben das Reich geschaffen,
aber die Reichsgewalt ist nicht aus der Einzelstaats-
gewalt abgeleitet. Die Reichsgewalt ist im Rechts-
sinne kein abgeleitetes, sondern ein ursprüngliches,
eigenständiges Recht. Einmal geschaffen, war und
ist sie aus sich selbst mächtig, und zwar, nach dem
Willen der Gründer und der Reichsverfassung, all-
mächtig: eine souveräne Gewalt. Das Dasein eines
Reichshoheitsrechts ist nicht davon abhängig, ob
das betreffende Hoheitsrecht einstmals in der Staats-
gewalt sämtlicher Einzelstaaten enthalten gewesen
ist. Die Finanzgewalt des Reiches — Art. 4 Nr. 2
RV. — ergreift mit souveräner Machtfülle alle Per-
sonen und Güter innerhalb des Reichsgebietes, auch
diejenigen, welche nach Landesstaatsrecht dem Be-
steuerungsrecht der betreffenden Einzelstaaten nicht
unterworfen sind.
Zum Schluß noch eine Frage. Wie erklärt die
gegnerische Ansicht sich das Dasein und die Daseins-
berechtigung der Matrikularbeiträge? Diese Bei-
träge sind bekanntlich nichts anderes als Steuern,
und zwar direkte Steuern, welche die Einzelstaaten
in der durch den Reichsetat bestimmten Höhe nach
dem Maße ihrer Bevölkerungszahl an das Reich
zahlen müssen. Wie sind solche Steuern aber
möglich, wenn man von der Meinung ausgeht, daß
der „Träger der Souveränetät“ vom Staate nicht
besteuert werden kann? Die Gesamtheit der Staaten
ist doch Träger der Reichsgewalt. Gleichwohl be-
steuert die Reichsgewalt diesen ihren Träger. Ist
das vom Standpunkt der hier bekämpften Anschauung
aus nicht auch „begriffswidrig“, — nicht mindestens
ebenso begriffswidrig wie die Besteuerung der Person
des Fürsten? Und wie kommt das Reich überhaupt
dazu, Matrikularbeiträge zu erheben? Die Einzel-
staaten konnten ihm dieses Recht, da sie es vor
der Reichsgründung nicht besaßen, nicht übertragen;
nemo plus iuris usw. Oder stimmt das nicht? Dann
wird also zugestanden, daß das Reich den Staat
Preußen, nicht aber, daß es den König von Preußen
besteuern darf. Wie seltsam! Steht der erste Diener
des Staates höher als sein Herr, der Staat, dem er
dient, das Gemeinwesen tiefer als sein Organ? Aber
wir besinnen uns: das ist ja für die Denkart der
Gegner gar nicht seltsam. Es paßt in ihr System.
Die hier besprochene Frage ist alles andere als
eine sog. Doktorfrage. Sie ist von größter politischer
Tragweite. Man will der Reichsgewalt das Recht
abstreiten, Gesetze zu erlassen, die verbindlich sind
für jeden im Reich; man will das Reich seiner
Souveränetät berauben. Da heißt es: caveant consules.
Möge der Reichstag ein besserer Anwalt des Reichs -
gedankens und des modernen Staatsgedankens sein
als die Reichsregierung: möge er wie schon bei der
ersten Beratung so auch bei der endgültigen Be-
schlußfassung über die „DeckungsVorlagen“ mit
aller Entschiedenheit Verwahrung dagegen einlegen,
daß „die Landesfürsten der Besteuerung des Reiches
nicht unterliegen“.
Ertragswert oder gemeiner Wert?
Eine Studie zum Wehrbeitragsgesetz vom Geh. Ober-
regierungsrat Dr. Hotfmann, Berlin.
Der Vorschlag des Wehrbeitrag-Gesetzentwurfs,
die Veranlagung der Landgüter nach dem Ertragswerte
vorzunehmen, hat auch in derOeffentlichkeit die Frage
nach der Berechtigung einer solchen Maßnahme
wieder aufgerollt. Seit diese Frage im Jahre 1905/6
die Parlamente des Reichs und Preußens zum ersten-
mal eingehender beschäftigt hat, hat sich in dieser
nicht ganz einfachen Materie manches geklärt. Es
wird nicht ohne Nulzen sein, für die bevorstehenden
Kommissionsverhandlungen des Reichstags die Streit-
punkte möglichst scharf zu umreißen.
Die Vermögenssteuer — und so auch der
Wehrbeitrag — will das Vermögen nicht als Quelle
eines tatsächlichen Einkommens, sondern als die
Fundierung für ein mögliches Einkommen und also
auch dann ergreifen, wenn das Vermögen für den
gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Ertrag liefert. Der
Ertragswert kann.als Besteuerungsmaßstab demnach
nur in Frage kommen, wenn unter Ertrag nicht der tat-
sächlich erzielte, sondern der bei ordnungsmäßigerBe-
wirtschaftung erzielbare Ertrag verstanden wird. Das
tut der Wehrbeitrag-Gesetzentwurf, indem er den Er-
tragswert nach einem Vielfachen des Reinertrags
bemißt, den die dauernd land- oder for st Wirtschaft!.
Zwecken gewidmeten Grundstücke nach ihrer bishe-
rigen wirtschaftl. Bestimmung bei ordnungsmäßiger
Bewirtschaftung nachhaltig gewähren können.
Ob es gerechtfertigt ist, den Ertragswert in
diesem Sinne als Besteuerungsmaßstab zu ver-
wenden, hängt davon ab, ob etwa im gemeinen
Werte der Landgüter (Verkaufs wert) Wertfaktoren
enthalten sind, die nach den Grundsätzen der steuer-
lichen Gerechtigkeit, insbesondere nach dem Grund-
sätze der Allgemeinheit der Besteuerung mit der
Steuer zu erfassen, nicht die Absicht sein kann.
Häufig genug werden zunächst gemeiner Wert und
Ertragswert überhaupt zusammenfallen, nämlich dann,
wenn auch ein etwaiger Käufer aus dem Gute keinen
höheren Ertrag zu erzielen hoffen kann, als nach der
bisherigen Bewirtschaftungsart normalerweise zu er-
zielen wäre und ihm das Gut auch nicht aus anderen
Gründen von Wert ist. Dann erledigt sich die
grundsätzliche Bedeutung der Frage nach der ma-
teriellen Seite hin überhaupt.
Indessen kann das Landgut schon für den gegen-
wärtigen Besitzer, also ohne Rücksicht auf einen