Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

16.8. Literatur-Beilage

16.8.1. Rittmann, Das deutsche Gerichtskostengesetz, 5. Aufl.

16.8.2. Schwandt, Deutsche Aktien-Gesellschaften im Rechtsverkehr mit Frankreich und England

16.8.3. Rümelin, Geisteskranke im Rechtsgeschäftsverkehr

16.8.4. Rusch, Statistik der Zivilrechtspflege

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Literatur-Beilage zur djz. »MWU

Zivilrecht und -Prozefs.
Die Geisteskranken im Rechtsgeschäftsverkehr.
Rede von Prof. Dr. MaxRümelin. 1912. Tübingen,
Mohr. 2 M.
In dieser Kanzlerrede erfahren die Bestimmungen des
BGB. über den vermögensrechtlichen Verkehr der Geistes-
kranken sowohl wegen der Unsicherheit ihres Inhalts als
auch wegen ihrer rechtspolitischen Unangemessenheit eine
scharfe Kritik. Bei der eindringenden Betrachtung der
Auslegungsschwierigkeiten, welche das BGB. bietet, tritt
Verf. im Gegensatz zu den Anschauungen mancher Psychiater
für die im Zivilrecht praktisch unentbehrliche (aber auch
nicht ohne Schwierigkeiten durchzuführende!) Annahme
einer teilweisen Geschäftsunfähigkeit ein. Er will die
partiell Geschäftsunfähigen nicht § 104 Ziff. 2, sondern
nur § 105 unterstellen und sieht darin „das kleinere Uebel“.
Er bekämpft sodann de lege ferenda das Dogma der un-
heilbaren Nichtigkeit der Geschäfte Geisteskranker. Dieses
Dogma sei zwar in den extremen Fällen gerechtfertigt, in
denen, wie beim völlig Verblödeten, jede Willensbildung
ausgeschlossen ist, nicht dagegen für diejenigen Tat-
bestände, die „äußerlich betrachtet nach allgemeiner Auf-
fassung noch als rechtsgeschäftliche Vorgänge erscheinen“.
Da treffe das französische Recht das Richtige, wonach die
Ungültigkeit nur auf Anrufen seitens des Unzurechnungs-
fähigen eintritt. Der Entmündigung aber sei für den
Vermögensverkehr nach dem Vorbild des Schweiz. ZGB.
nur die Wirkung beizulegen, die gegenwärtig unsere Ent-
mündigung wegen Geistesschwäche hat. Endlich be-
fürwortet Verf., damit eine schon vorhandene Strömung
mit sehr beachtlichen Gründen noch verstärkend, einen
Schutz des gutgläubigen Geschäftsgegners des Geistes-
kranken. Dieser Geschäftsgegner könne zwar nicht ver-
langen, daß das Geschäft zu seinem Vorteil aufrecht-
erhalten bleibe, aber doch, daß er keinen Schaden erleide;
denn es sei billig, den aus rechtsgeschäftlicher Verbindung
entstandenen Schaden dem aufzubürden, in dessen Sphäre die
Anomalie bestehe; dem geschädigten Geschäftsgegner sei
aber die Beweislast für seinen guten Glauben aufzuerlegen.
Diesen Rechtszustand wünscht R. durch Gesetzesänderung
verwirklicht. Für das geltende Recht lehnt er mit Recht
die Heranziehung des § 122 BGB. ab.
Professor Dr. E. Riezler, Erlangen.

Die deutschen Aktien-Gesellschaften im Rechts-
verkehr mit Frankreich und England. Von Dr.
jur. Joh. Schwand t. 1912. Marburg, El wert. 12 M.
Der Verf. erörtert im ersten allgemeinen Teile zwei
Fragen des internationalen Aktiengesellschaftsrechtes:
1. Können die Gründer die A.-G. nach dem Rechte eines
beliebigen Landes errichten? 2. Hat die A.-G. eine Natio-
nalität, und welches ist ihr Kriterium? Nach Bejahung der
ersten Frage (wobei die bisherigen Theorien kritisch be-
sprochen werden) wird die zweite dahin beantwortet, daß
die A.-G. die Nationalität des Landes genießt, nach dessen
Rechte sie gegründet ist. Mit diesen Antworten ist selbst-
verständlich eine Beschränkung der Gründer insofern ver-
einbar, als die meisten Rechte einen Verwaltungssitz im
Inlande oder eine Registrierung der A.-G. bei dem Ge-
richte ihres Sitzes erfordern. Der zweite Teil behandelt
die Verlegung des Sitzes der deutschen A.-G. nach Frank-
reich oder England. Der Verf. begründet die Ansicht,
daß die Verlegung des Verwaltungssitzes der deutschen
A.-G. ins Ausland ohne Verlust der Rechtsfähigkeit er-
folgen kann, während die Verlegung des statutarischen
Sitzes an sich diesen Verlust zur Folge hat. In Erörterung
der beiden fremden Rechte gelangt der Verf. ferner zu
dem Ergebnisse, daß die deutsche A.-G. wohl in der
Lage ist, allen Normativbestimmungen des franz. Rechtes
im voraus zu genügen und somit die deutsche mit der
französischen Nationalität ohne Verlust der Rechtsfähigkeit
zu vertauschen, während dies hinsichtlich der englischen
Nationalität aus rechtlichen oder praktischen Gründen un-

tunlich erscheint. Ein dritter Teil erörtert die allgemeine
Frage der Anerkennung ausländischer A.-G. nach den
wichtigsten Rechtssystemen und sodann die rechtliche
Stellung der Niederlassungen deutscher A.-G. in Frank-
reich und England. Schon aus dieser Inhaltsangabe dürfte
sich ergeben, daß ein recht verdienstliches Werk vorliegt,
welches eine Reihe neuer oder wenig behandelter Fragen
des Intern. Pr. R. aufwirft und zu beantworten sucht.
Reichsgerichtsrat Dr. Hägens, Leipzig.

Das deutsche Gerichtskostengesetz v. 18. Juni 1878.
Erläutert von Rechnungsrat Otto Ritt mann. 5. Aufl.
1912. Mannheim, Bensheimer. Geb. 14,50 M.
Rittmanns Erläuterungsbuch zum GKG. ist allgemein
bekannt und weit verbreitet. Wenn jetzt bereits die 5. Aufl.
erscheint, so braucht über den Wert und die Notwendig-
keit des Buches nichts mehr gesagt zu werden. Es hat
sich seinen gesicherten Platz errungen. Wie schon früher,
ist die Erörterung über den Streitwert ganz ausgeschieden
und einer getrennt erschienenen Sonderarbeit des Verf. Vor-
behalten. Die sorgfältig zusammengestellte Rechtsprechung
setzt sich meist aus Beschlüssen der OLG. zusammen, da
das Reichsgericht über Kostenbeschwerden nicht mehr be-
findet und nur noch in eigenen Kostensachen Grundsätze
aufstellt (vgl. RG. 75 311, 78 126 über die Rechtsnatur
der Pauschsätze). Daß auch landgerichtliche und selbst
amtsgerichtliche Beschlüsse veröffentlicht werden, ist daher
ein notwendiges Uebel. Dagegen möchte ich den Kom-
mentaren empfehlen, bei den Zitaten solcher Beschlüsse
Maß zu halten. Die Zitier weise des Verf. ist gedrängter
als in der vorigen Aufl., entspricht aber noch immer nicht
durchweg den sonst in der Literatur fast allgemein befolgten
Vorschlägen des deutschen Juristentages. Für die nächste
Aufl. empfehle ich auch, die RGEntsch. — nach der durch-
laufenden Bandzahl anzuführen („Bd. 75“, nicht „neue
Folge Bd. 25“).
Kammergerichtsrat a. D. Dr. Simeon, Berlin-Dahlem.

Statistik der Zivilrechtspflege. Von Gerichtsassessor
Dr. Max Rusch. 1912. Leipzig, Teubner. 3,60 M.
Die Arbeit, die in abgekürzter Form bereits in der
Ehrengabe für Geh. Rat v. Mayr „Die Statistik in Deutsch-
land“ veröffentlicht worden ist, verfolgt das Ziel, die im
Interesse der Wissenschaft wünschenswerten Aenderungen
auf dem Gebiete der Statistik der Zivilrechtspflege darzu-
legen und zu begründen. In einem Abschnitt, den er die
theoretische Statistik der Zivilrechtspflege benennt, erörtert
Verf. die Aufgabe und die Bedeutung der Rechtsstatistik,
grenzt im einzelnen das Arbeitsfeld der Zivilrechtsstatistik
ab und beleuchtet das Beobachtungsobjekt, das für dieses
Gebiet in der gerichtlichen Tätigkeit und dem dadurch fest-
gehaltenen Sachverhalt besteht. Des weiteren unterrichtet
er uns über die Möglichkeit der Stoffgewinnung im all-
gemeinen und legt schließlich die systematische Stellung
der Zivilrechtsstatistik in der wissenschaftlichen Statistik
dar. Somit gewinnt er die nötigen Anhaltspunkte, um in
einem zweiten Teil, der die praktische Statistik der Zivil-
rechtspflege behandelt, die wünschenswerten Aenderungen
bei der Schilderung des gegenwärtigen Standes der Zivil-
rechtspflege festzustellen. Dem Verf. hier durch die ver-
schiedenen Gebiete der Zivilrechtspflege zu folgen und
seine Wünsche und Vorschläge zu hören und zu prüfen,
ist ungemein interessant. Wenn man auch manchmal an
der Durchführbarkeit seiner Reformideen zweifeln muß,
insbesondere bei der wichtigsten und schwierigsten Materie,
der statistischen Erfassung der Zivilprozesse (S. 69 ff.),
so muß man ihm doch in fast allen Punkten recht geben
und mit ihm wünschen, daß unsere Zivilrechtspflege sta-
tistisch besser erfaßt werde, als bisher, was in erster Linie
durch eine weitere Ausdehnung des Zählkartensystems ge-
schehen könnte.
Oberlandesgerichtspräsident Lindenberg, Posen.

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