16.1.2.
Parlamentarische Untersuchungs-Kommissionen
(Laband)
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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 10.
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Wechselordnung geführt hatten und das deutsche
Handelsgesetzbuch vorbereiteten. Den Österreichi-
schen Juristen gab das die Freizügigkeit: über jene
Brücke fanden sie den We^ zum deutschen Rechts-
leben und zur Rechtskultur fremder Länder. Für
die deutsche Rechtswissenschaft hingegen erweiterte
sich auf diese Weise die Herrschaftszone, ihr Beob-
achtungsfeld dehnte sich aus, neben neuen Ab-
nehmern meldeten sich neue Mitarbeiter an ihren
Aufgaben. Das eine wie das andere führte zu der
Ideengemeinschaft in Rechtsproduktion und rechts-
wissenschaftlicher Arbeit, deien wir uns nun er-
freuen und aus der Jurisprudenz und Gesetzgebung
auf beiden Seiten Nutzen ziehen. Unter den öster-
reichischen Juristen wird bisweilen geklagt, daß die
Verkehrsbilanz für sie eine passi re sei, weil sie mehr
beziehen als absetzen, doch das läßt sich schwer
feststellen. Wer vermag zu verfolgen, was aus den
einzelnen Gedanken wird und in welcher Form sie
importiert werden. Sie müssen nur ausgesprochen
und zugänglich gemacht werden, das Richtige an
ihnen wird, wenn die Zeit gekommen ist, sich schon
durchsetzen, denn auch für das Geistige gibt es ein
Gesetz der Erhaltung der Kraft! Die vielfältigen Be-
ziehungen der reichsdeutschen und der österreichischen
Jurisprudenz, wie sie nun vorhanden sind, hat nicht
Unger allein geschaffen, er hat aber — das ist seine
Großtat — ein leuchtendes und lockendes Beispiel
gegeben und gerade seine wissenschaftliche Wirk-
samkeit hat es vermocht, die Aufmerksamkeit aller
auf diese Verbindung zu lenken und sie zu gleichem
zu veranlassen. Denn Unger hat auch die deutsche
Rechtswissenschaft anerkanntermaßen bereichert und
ist, was hier nicht unerwähnt bleiben soll, mit den
Lesern dieser Zeitschrift gerne in Kontakt getreten.
Die DJZ. verliert in ihm einen ihrer hervorragendsten
Mitarbeiter.
Ungers wissenschaftliche Art war von erlesenem
Feinsinn. Wenn es nicht wie Blasphemie klingt,
die Sprache der juristischen Literatur neben die der
Dichtung zu stellen, so kann man wohl, wenn von
irgend einem Rechtsgelehrten, so von Unger sagen,
daß seine Sprache die Einfachheit und Anmut, den
Adel und die durchsichtige Tiefe, das Reiche und
Leichte hat, die Goethes Sprache eigen sind. Das
ist zugleich für die Art seines kritischen Sinnes be-
zeichnend. Nirgends macht er sich stillos geltend,
sein Zersetzendes erscheint nie für sich, es äußert
sich vielmehr in neuen positiven Gebilden und Ideen.
In allem was er sprach und schrieb, weht ein Zauber
ungesuchter Kunst.
Die Grabschrift, die sich Unger gewünscht hat:
Nach getaner Arbeit ist gut luhen, sie kann ihm
mit Fug auf den Stein gesetzt werden; er wird
wenige Tage seines langen Lebens müßig ge-
wesen sein oder sie vergeudet haben. D« r stets
zu einem geistreichen Apergu bereite Mund ist nun
ges. blossen, und Ungers Kreis ist der Freude be-
raubt, ihm zu lauschen und sich an den klugen,
erfrischenden, manchmal auch spö tischeu Bem.r-
kungen zu ergötzen. Wem er sein Wohlwollen
schenkte, für den war es ein edles und kost-
bares Geschenk, es wird es wohl niemand anders
gefühlt haben. Ein Geist, dem auch im weiten
Bereiche Autorität innewohnte, ist erloschen. Im
Verkehr mit Unger lernte man die innere Wohltat
einer auf große geistige Kraft g stützten Autorität
empfinden. Wir waren stolz auf ihn, er war einer
unserer auch für das Ausland repräsentativen Männer.
Desto mehr Weh zieht nun durch unsere Seele. Der
Nachruhm ist -rrr- um wieder ein Wort Ungers zu
zitieren — das Leben der Toten. Solcher Nach-
ruhm wird ihm nicht fehlen. Manche seiner Lehren
scheinen von ähnlicher Universalität wie die Aus-
sprüche römischer Juristen, die jedem Zeitalter auf
seine Fragen Antwort geben.
Parlamentarische
Untersuchung^- Kommissionen.
Von Laband.
In der Sitzung des Reichstages v. 23. April 1913
ist die Frage erörtert woiden, ob der Reichstag be-
rechtigt sei, Kommissionen zur Untersuchung von
Tatsachen einzusetzen oder ob in der Errichtung
einer solchen Kommission ein Ein griff in die der Re-
gierung (dem Kaiser) zustehende Exekutive liege. Um
zu einer richtigen, dem Verfassungsrecht entsprechen-
den Beantwortung dieser Frage zu gelangen, sind
nach m. Ansicht verschiedene Fälle zu unterscheiden.
1. Dem Reichstag steht es zweifellos zu, aus
seinen Mitgliedern Kommissionen für jeden zu
seiner Zuständigkeit gehörenden Gegenstand zu bilden.
Zur Zuständigkeit des Reichstages gehören aber alle
den Reich etat betreffenden Fragen. Sowohl bei der
Prüfung der Rechnungslegung als auch bei der Be-
ratung des Etatsgesetzentwurfs kann der Reichstag
die gesetzliche oder tatsächliche Notwendigkeit sowie
die Zweckmäßigkeit der bestehenden Einrichtungen
und des von der Regierung befolgten Verfahrens
und somit auch etwa bestehende Uebelstände prüfen
und darüber beschließen. Es geschieht dies fort-
während in der Budgetkommission und ist die eigent-
liche Aufgabe und der Zweck derselben; sie kann
und soll bei jeder Etatsposition eine solche Prüfung
vornehmen, und sie hat unbezweifelt das Recht, so-
weit sie es für erforderlich hält, für einzelne An-
gelegenheiten Subkommissionen einzusetzen. Der
Reichstag ist demnach auch befugt, für die Erörterung
einzelner, beso ders wichtiger oder aus anderen
Gründen ihm dazu geeignet scheinender Angelegen-
heiten, soweit sie irgendeinen Zusammenhang mit
einer Position des Etats haben, eine besondere
Komrn ssion einzusetzen und die Ai gelegenheit der
Budgetkommission zu entziehen. Denn die Kom-
missionen des Reichstages haben kein selbständiges
Recht auf die Erledigung der ihnen zugewiesenen
Aufgabe.
Eine solche ReichstagskommLsion kann aber
keine weit, igehenden Rechte haben, als sie der
Reichstag selbst hat. Sie kann weder den Reichs-