13.6.
Sprechsaal
13.6.1.
Reichsgesetz und Landesgesetz in der Jesuitenfrage
(Reichtagsbibliothekar Dr. Kirschner)
13.6.2.
Gesetzgeberische Lehren aus dem Prozeß Sternickel
(StA, PrivDoz. Dr. Klee)
455
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 7.
456
9 bereitung f. d. Staatsdienst im Justiz- u. Verwaltungs-
fache dt. (S. 74).
Sachsen-Altenburg: Hö. Vo. v. 15 2. 1)13, bt. Aend.
d. AusfVo. v. 13. 11. 1899 z. Reichsges. ü. Beurk. d. Per-
sonenstandes u. Eheschließ. [4. 3. 1913] (GesS. S. 91).
Anhalt: Kirchengesetz v. 5. 2. 1913, bt. Bildung eines
landeskirchl. Hilfsfonds (GesS. S. 163). - Vo. v. 11. 2.
1913, bt. Vorbereitung u. Prüfung z. S trom auf sicht s-
dienste [2. 3. 1913] (S. 169).
Waldeck: Bk. v. 13. 1. 1913 d. Textes d. Knapp-
schaftsgesetzes (RegBl. S. 31). — Ausf.-Ges. v. 9.1.1913
z. Viehseuchengesetze [4.2. 1913] (S. 55). — Ges. v.
9.1.1913, bt. Anschluß d. in Waldeck-Pyrmont wohnh.
Aerzte an d. Aerztekammer d. preuß. Prov. Hessen-
Nassau [4. 2. 1913] (S. 63).
Bremen: Vo. v. 7. 3. 1913, bt. Herstellung, Aufbewah-
rung u. Verwendung v. Azetylen sowie Lagerung v. Kal-
ziumkarbid [7.3.1914] (GesBl. S. 72). - Ges. v. 11.3.1913
ü. Aend. d. Ges. bt. d. Kanalisation v. 8. 6.1912 (S. 91).
Elsaß-Lothringen: Vo. v. 24. 2. 1913, bt. Abänd. d.
§ 3 d. Vo. v. 1. 11. 1899, bt. Regelung d. Zuständig-
keit in d. Fällen d. §5 1723, 1745, 1322 BGB. [6.3.1913]
(GesBl. S. 7).
Sprechsaal.
Reichsgesetz und Landesgesetz in der Jesuiten-
frage. Diese höchst wichtige Frage, ob landesrechtliche
Vorschriften, die ein Reichsgesetz aufhob, von selbst wieder
bei der Beseitigung des letzteren aufleben, kam bei der Ver-
handlung über die Aufhebung des Jesuitengesetzes
in der Reichstagssitzung v. 19. Febr. 1913 zur Behandlung,
ohne daß eine Einigung oder Klärung erzielt worden wäre.
Zum § 2 des Jesuitengesetzes lag ein Antrag Dr. Ablaß und
Gen. vor, wonach die landesrechtlichen Vorschriften über
den Orden der Gesellschaft Jesu unberührt bleiben sollten,
soweit sie nicht mit der Reichsgesetzgebung in Wider-
spruch stehen.
Die Anregung hierzu mag wohl auf die vom wiirttem-
bergischen Ministerpräsidenten v. Weizsäcker in der
Kammer am 17. Jan. 1913 bei der Jesuitenfrage abgegebene
Erklärung zurückzuführen sein, wonach die Staatsregierung
stets der Ansicht gewesen sei, daß im Falle der Aufhebung
des Reichsgesetzes immer noch die Vorschrift des Landes-
gesetzes entgegenstehe, da die landesrechtliche Bestimmung
während des Bestehens des Reichsgesetzes nur gegen-
standslos geworden sei und mit der Aufhebung des
Reichsgesetzes wieder in Kraft trete.
Daß man dieser Ansicht aber nicht beitrat, be-
weist jener Antrag Ablaß, der gegenstandslos wäre, wenn
man klar zu sehen geglaubt hätte. Der Abg. OLGPräs.
Dr. Spahn trug sein Bedenken vor, weil sich die Trag-
weite der Bestimmungen nach der reichsgesetzlichen Seite
hin nicht ermessen lasse. In der 2. Lesung begründete
Abg. Dr. Müller (Meiningen) den Antrag Dr. Ablaß,
wobei er dem Zentrum die Frage vorlegte, ob es der An-
sicht sei, daß die landesrechtlichen Vorschriften auch ohne
ausdrückliche Bestimmung unberührt blieben. Im Falle
der Bejahung wolle seine Partei den Antrag zurückziehen,
zumal man annehme, daß wie Württemberg alle deutschen
Regierungen denken. Abg. OVGR. Graf v. Westarp hielt
den Antrag nicht für klar übersehbar, glaubte aber, daß er
Selbstverständliches enthalte, da auch dann, wenn der
Zentrumsantrag Gesetz werde, die landesrechtlichen Be-
stimmungen unberührt blieben. Auch Abg. LGR. Schultz
(Bromberg) schien sich diesen Ausführungen anzuschließen.
Der Abg. LGDir. Gröber betonte alsdann, daß das Je-
suitengesetz erlassen sei, ohne daß man es für nötig befunden
hätte, eine Bestimmung über sein Verhältnis zu den landes-
rechtlichen Bestimmungen zu treffen. Demnach finde also,
solange das Gesetz bestehe, die reichsverfassungsmäßige
Vorschrift Anwendung, da alles Reichsrecht dem Landes-
recht vorgehe. Wenn Reichsrecht aber aufgehoben werde,
gebe es eine doppelte Möglichkeit: Entweder seien die
landesrechtlichen Bestimmungen formell durch Reichsgesetz
aufgehoben oder nur suspendiert. Im ersteren Falle werde
durch die Aufhebung nicht von selbst wieder die landes-
rechtliche Vorschrift in Kraft gesetzt, was im zweiten ein-
treten würde. Der Abg. JR. Dr. Junck erklärte es für
selbstverständlich, daß, wenn das Reichsgesetz falle, damit
die Landesgesetzgebung wieder auflebe oder frei werde.
Dem gegenüber sei hier darauf hingewiesen1), daß
über diese Frage zwar in keinem staatsrechtlichen Hand-
und Lehrbuch etwas zu finden ist, daß aber eine an-
scheinend allseits übersehene Entscheidung des
Reichsgerichts selbst schon sich darüber ausge-
sprochen hat, welche von beiden Gröberschen Möglichkeiten
in Betracht kommt. In dem im 19. Bande der Entsch. d.
RG. i. ZS. (1888) S. 181 veröffentlichten Urt. handelt es
sich um Bestimmungen des Reichsstempelgesetzes v.
1. Juli ,1881, welches landesrechtliche Vorschriften v.
7. März 1822 außer Kraft gesetzt hatte. Ein späteres
Reichsgesetz v. 29. Mai 1885 hatte das v. 1. Juli 1881
wieder aufgehoben, so daß nun die Frage entstand, ob die
durch das Reichsgesetz v. 1. Juli 1881 außer Wirksamkeit
gesetzten landesrechtlichen Vorschriften dadurch wieder
von selbst in Kraft getreten seien. Das Reichsgericht
sagt nun wörtlich:
„Diese Frage muß aber verneint werden. Bei der
Beantwortung derselben ist nämlich grundsätzlich davon
auszugehen, daß ein aufgehobener Rechtssatz nicht schon
dadurch ipso iure -wiederauflebt, daß das denselben
aufhebende Gesetz demnächst aus irgend einem Grunde
wegfällt. Die Wiederaufhebung dieses Gesetzes an sich
kann nur eine negative Wirkung haben, nicht aber einen
neuen Rechtssatz schaffen, denn dazu bedarf es eines
speziellen Ausdruckes des dahin gerichteten gesetzgeberischen
Willens. Ein solcher Willensausdruck ist daher auch dann
erforderlich, wenn in Fällen der vorliegenden Art der
ursprüngliche Rechtssatz, welcher vor dem auf hebenden
Gesetze in Kraft stand, mit der Beseitigung des letzteren
von neuem Geltung haben soll“.
Diese Entscheidung ist demnach ein ganz analoger
Fall, wonach die Ansicht des württembergischen Minister-
präsidenten und eines Teils des Reichstages im Gegensatz
zu jener Reichsgerichtsentscheidung steht. Demnach können
die landesrechtlichen Bestimmungen nicht mehr auf leben;
selbst dann nicht, wenn sie sich ganz oder in einzelnen
Punkten auch zufällig mit dem Reichsgesetze gedeckt
haben sollten.
Reichstagsbibliothekar Dr. Kirschner, Berlin.
Gesetzgeberische Lehren aus dem Prozeß
Sternickel. Das Interesse, das dieser Raubmordprozeß
erregt hat, ist ein vorwiegend kriminalpsychologisches,
ausgelöst durch die außergewöhnliche verbrecherische Per-
sönlichkeit des Hauptangeklagten. Aber ein die Gemüter
so stark beschäftigender Kapitalprozeß regt das Nachdenken,
das ohne den verjüngenden, belebenden Hauch der Praxis
nur zu leicht erschlafft, in der Anerkennung des Selbst-
verständlichen erstarrt, auch über juristische Grundsätze
von neuem an, mögen diese Grundsätze noch so oft und
ausgiebig erörtert, ja mögen sie bereits von Routine und
Schulmeinung zum Gemeinplatz gestempelt sein.
Einer der Verteidiger im Sternickel-Prozeß hat in
einer Art nachträglichem Plädoyer, das die Vossische
Zeitung veröffentlicht, die Richtigkeit des Spruchs der Ge-
schworenen insofern in Zweifel gezogen, als auch bei den
*) Auf diese Entsch. des RG. hat mich in dankenswerter Weise
Prof. Dr. Hatschek, Göttingen, aufmerksam gemacht.