Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

12.7. Spruch-Beilage

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Spruch-Beilage zur djz. MM MM
(Nachdruck der Entscheidungen wird nur mit genauer und unverkürzter Quellenangabe gestattet.)

Reichsgericht.
1. Zivilsachen.
Mitgeteilt v. Justizrat Kurlbaum, Rechtsanwalt b. RG., Leipzig.
Schadensersatzklage bei zwei sich störenden öffent-
lichen Anlagen. §§ 823, 906, 1004 BGB. In einen im
Kreiseigentum stehenden Chausseekörper hat zunächst die
Bekl. zum Betrieb einer Kleinbahn ihre auf Schienen-
rückleitung eingerichtete elektrische Straßenbahn eingebaut.
Demnächst sind in dieselbe Chaussee die Gasrohre der
klagenden Gasanstalt eingelagert. Beide Parteien sind auf
Grund von Verträgen vorgegangen, die mit dem Kreise
geschlossen waren. Die Kl. behauptet, daß ihre Gasrohre
infolge vagabondierender elektrischer Ströme aus der
Straßenbahn beschädigt worden seien, und daß sie dadurch
an den Gasrohren selbst und an dem aussti ömenden Gas
Verluste erlitten habe. Sie macht die Bekl. dafür verant-
wortlich, weil sie es schuldhaft unterlassen habe, die
technisch möglichen in der elektrotechnischen Literatur
zur Zeit der Anlage der Bahn erörterten und seither auch
praktisch erprobten Hilfsmittel zur Verhütung solchen
Schadens anzuwenden, sie hält sie dazu auf Grund der
§§ 823, 1004 und 906 BGB. für verpflichtet. Die Klage
ist in allen Instanzen abgewiesen. Für die Anwendung
des § 823 fehle es an der Rechtswidrigkeit der ver-
letzenden Handlung. Die mit Genehmigung der zu-
ständigen Behörde erfolgte Herstellung und Betriebsein-
richtung der Bekl. (§ 2 des Kleinb.-Ges.) entspreche den
von der Behörde erteilten Vorschriften und den Ab-
machungen mit dem Kreise. Danach sei die Bekl. zur
Schienenrückleitung berechtigt. Durch das mit dieser ver-
bundene Entweichen elektrischen Stroms in den Erd-
körper hätte wohl die Rohrleitung des Dritten ge-
fährdet werden können, eine solche sei aber zur Zeit
der Herstellung der Kleinbahn noch nicht vorhanden
gewesen, und auf die bloße Möglichkeit eines etwa
später eingelagerten Rohrnetzes habe die Bekl. keine
Rücksicht zu nehmen gehabt. Die spätere Verlegung
des Gasrohrnetzes sei kein Grund, die Bekl. zu einer
Aenderung ihrer Anlage zu verpflichten. Es sei viel-
mehr Sache der später in die Nachbarschaft tretenden
Kl. gewesen. die damals bekannten Abhilfsmittel
gegen die schädlichen Einflüsse der vagabondierenden
Ströme anzuwenden. Sie habe mit ihrer Anlage angesichts
des ihr bekannten Benutzungsrechts der Bekl. auf ihre
eigene Gefahr gehandelt. Es sei auch nicht nachgewiesen,
daß für die Kl. die Benutzung der Straße zur Gas-
leitung unumgänglich notwendig gewesen sei, so daß
der in der Entsch. des RG. Bd. 52 S. 379 ausgesprochene
Grundsatz nicht zur Anwendung gelangen könne, daß ein
jeder auch für Beschädigungen durch seine Sachen soweit
aufkommen solle, als er sie bei billiger Rücksichtnahme
auf das Interesse des anderen hätte verhüten müssen. Die
r 906 und 1004 BGB. seien nicht anwendbar, weil
1004 Abs. 2 entgegenstehe und die nachbarrechtlichen
Vorschriften des § 906 auf den Fall mehrerer auf dem-
selben Grundstück befindlicher Anlagen unanwendbar seien.
(Urt. VI. 203/12. v. 5. Dez. 1912.)
Verantwortlichkeit des Notars für den Mißbrauch
seines dem Bureauvorsteher anvertrauten Stempels.
§ 839 BGB. Von der Hinterlegungsstelle des klagenden
Fiskus hat der Bureau Vorsteher des bekl. Notars auf Grund
einer gefälschten Urkunde einen hinterlegten Betrag aus-
gezahlt erhalten und unterschlagen. Kl., der zur Zahlung
an den wirklichen Berechtigten verurteilt ist, macht den
bekl. Notar ersatzpflichtig, weil er es durch ungenügende
Verwahrung seines Stempels seinem Angestellten ermög-
licht habe, den falschen Beglaubigungsvermerk mit dem
Notariatsstempel des Bekl. zu versehen. Das BerGer. hat
nach dem Klageantrag verurteilt, die Revision ist zurück-
gewiesen. Siegel und Stempel seien die Werkzeuge, deren
der Notar bedürfe, um den von ihm aufgenommenen

Urkunden die gesetzlich vorgeschriebene Form zu geben.
Nur der Notar selbst sei befugt, der Urkunde die Form
einer öffentlichen zu geben. Dabei sei nicht zu verlangen,
daß der Notar persönlich die Siegel oder den Stempel
auf drücke, wohl aber, daß er es unter seiner persönlichen
Aufsicht tun lasse. Die Ueberlassung von Siegel und
Stempel auch an einen durchaus erprobten Bureaubeamten
zum unbeaufsichtigten Gebrauch widerspreche dem Gesetz
und mache den Notar für einen Mißbrauch nach § 839 BGB.
verantwortlich. Hiervon könne ihn auch nicht die
Häufung der Geschäfte oder eine noch so große Aus-
dehnung des Notariatsbetriebes befreien. (Urt. III. 336/12
v. 18. Dez. 1912.)
Bevorzugung von Konkursgläubigern nach Ab-
schluß eines Zwangsvergleiches. Nichtigkeit hierauf
gerichteter Verträge. § 181 KO. Der Beklagte war in
Konkurs geraten. Dieser ist durch einen vor dem
12. Aug. 1908 geschlossenen Zwangsvergleich beendet
worden. Kläger macht geltend, daß der Beklagte seine
Zustimmung zu dem beabsichtigten Zwangsvergleich ge-
wünscht und ihn durch den Konkursverwalter darum habe
bitten lassen, dem Zwangsvergleich zuzustimmen und auf
eine Sicherstellung für die Konkursdividende sowie auf die
Auszahlung der Konkursquote aus der Masse zu verzichten,
wogegen eine spätere volle Befriedigung seiner Forderung
in Aussicht gestellt sei. Hiermit sei er einverstanden ge-
wesen. Nach rechtskräftiger Bestätigung des Zwangs-
vergleiches sei ihm sodann vom Bekl. die Urkunde v.
12. Aug. 1908 ausgestellt, Inhalts deren der Beklagte be-
kannte, von dem Kläger ein rückzahlbares Darlehn von
15 000 M. erhalten zu haben. Dieser Betrag ist jetzt mit
der Klage verlangt. Der Beklagte wendete Unverbindlich-
keit dieser Erklärung ein, sie habe bezweckt, dem Kläger
einen Sondervorteil zwecks Herbeiführung des Zwangs-
vergleichs zu verschaffen. Das LG. hat dem Kläger nur
die Vergleichsquote zugesprochen, das OLG. dagegen den
Beklagten durch bedingtes Endurteil zur Zahlung des
ganzen Betrages verurteilt. Es hat festgestellt, daß Be-
klagter das Schuld versprechen v. 12. Aug. 1908 ausgestellt
habe, ohne dem Rechte nach dazu verpflichtet zu sein.
Er habe damit nur das erfüllt, was er Kläger vor Abschluß
des Zwangsvergleichs in unverbindlicher Weise in Aus-
sicht gestellt habe. Das RG. hat aufgehoben und die Be-
rufung gegen das erste Urteil zurückgewiesen. Es sei die
Tragweite des § 181 KO. verkannt. Danach könne eine
rechtlich bindende Zusage, durch die einem Gläubiger eine
bevorzugte Befriedigung ohne Zustimmung der zurück-
gesetzten Gläubiger zugesichert wird, niemals gemacht
werden, da eine derartige Zusage nichtig sei. Wollte man
annehmen, daß das bloße Inaussichtstellen der vollen Be-
friedigung die Anwendbarkeit des § 181 Satz 3 KO. aus-
schließe, so hätten es die Beteiligten in der Hand, diese
Vorschriften in der einfachsten Weise zu umgehen, indem
sie dahin übereinkämen, den auf die Befriedigung des
Gläubigers gerichteten Vertrag bindend erst nach Rechts-
kraft des Zwangs Vergleichs abzuschließen. Eine derartige,
lediglich zur Umgehung des Gesetzes geschlossene Ver-
einbarung werde aber von den in § 181 KO. angedrohten
Nichtigkeiten ebenso ergriffen, wie ein vor dem Zwangs-
vergleich geschlossener förmlicher Vertrag. (Urt. VI. 334/12
v. 23. Dez. 1912.)
Antritt und Beendigung des Amtes eines Testaments-
vollstreckers. §§ 2225—2227 BGB. Kl. behauptet, daß
ihm gegen den Nachlaß des S. eine Forderung zustehe.
Er hat die Klage gegen den im Testament des S. als
Testamentsvollstrecker berufenen Bekl. erhoben. Bekl.
hat bestritten, daß er Testamentsvollstrecker sei, er habe
das Amt nicht angenommen; falls aber in seinem Verhalten
eine Annahme gefunden werden könne, so sei das Amt
vor Erhebung der Klage schon wieder erloschen gewesen,
weil er alle ihm als Testamentsvollstrecker obliegenden
Geschäfte schon erledigt gehabt habe. Nach dem Zu-

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