12.6.4.
Mitunterzeichnung des Mietvertrages durch die Ehefrau des Mieters
(Prof. Dr. Oertmann)
12.6.5.
Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Zivilprozeß
(LGR., Geh. JR. Dr. Gumbinner)
403
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 6.
404
während für die geistig minderwertigen unsozialen Ge-
fangenen jede Institution fehlt, in die sie nach der Ent-
lassung aus der Strafhaft im gegebenen Falle aufzunehmen
sind. Es werden daher einzelne staatliche Anstalten für
diese Elemente neu zu schaffen sein, in denen sie so lange
bewahrt werden, als ihr gefährlicher Zustand anhält, unter
gleichmäßiger Beachtung des kriminellen wie ärztlichen
Faktors. Diese Einweisung selbst sollte nur unter Be-
rücksichtigung der Ergebnisse des Strafvollzuges statt-
finden, während das Gericht nur die Zulässigkeit der
Ueberweisung ausspricht (so § 37 des österr. Entwurfs).
Nur auf diese Weise sind genügende Garantien gegen eine
zu einseitige Anwendung des Gesetzes gegeben. Die
Schaffung solcher Anstalten bleibt daher die wichtigste,
aber unvermeidliche Aufgabe, sobald man an die Lösung
der Frage herangeht. Die Kosten, die entstehen, werden
durch den Wegfall von Strafverfahren, Begutachtungen,
Transport, Strafvollzug, Irrenpflege usw. reichlich erspart,
und es würde nicht zu schwer sein, einem allzu bedenk-
lichen Finanzminister die relative Rentabilität dieser
Sicherungsanstalten vorzurechnen. Daß diese Sicherungs-
und Versorgungsanstalten für geistig minderwertige Rechts-
brecher staatliche Anstalten im Anschluß an die Gefängnis-
verwaltung sein müssen, halte ich für unbedingt erforder-
lich. Gewisse Schwierigkeiten, die sich durch die ver-
schiedenartige Leitung des Irren- und Gefängniswesens in
Nord- und Süddeutschland, speziell in Preußen ergeben,
werden sicher nicht geringer, wenn die Lösung dieser
Aufgabe auf einen späteren Termin verschoben wird.
Strafanstaltsdirektor Dr. Pollitz, Düsseldorf.
Mitunterzeichnung des Mietvertrages durch
die Ehefrau des Mieters. Gegenüber meinem Auf-
satz in der DJZ. 1905 S. 1079 will Reichel im „Recht“
1913 Nr. 4 S. 115 ff. nicht von einem akzessorischen Miet-
verhältnis der mitunterzeichnenden Frau geredet wissen,
sondern nur von einer „Schuldmitübernahme“ durch sie;
darin soll die „abschließende“ Lösung des Problems liegen.
Ich kann mich dieser Zuversicht nicht anschließen.
Einmal ist es keineswegs über jeden Zweifel erhaben, ob
die Frau überhaupt begrifflich in alle Pflichten aus dem
Mietverhältnis, als Mieterin — und nur die eingebrachten
Sachen einer solchen, nicht die einer sonstigen Schuld-
übernehmerin unterliegen dem gesetzlichen Vermieterpfand-
recht — eintreten könne, ohne auch Rechte aus dem
Mietvertrag zu erwerben. Aber ich halte dieses Bedenken
nicht für unüberwindlich, will es jedenfalls zurückstellen.
Wichtiger ist folgendes:
a) Mir kam es in meinem Aufsatz weniger darauf
an, daß die Frau Mieterin, als daß sie akzessorische
Mieterin neben dem Manne werde; der Nachweis, daß ihre
Pflichten wie ihre — von mir -durchaus in den Hinter-
grund gestellten — Rechte von denen des Ehemannes
völlig abhängig seien, bildete das A und O meiner Dar-
legung. Demgegenüber enthält Reichels Lehre keinen
Fort-, sondern einen Rückschritt. Denn der Schuldüber-
nehmer kann nur die im Zeitpunkt der Uebernahme bereits
bestehenden Einwendungen des Hauptschuldners ver-
wenden, § 417 BGB.; seine einmal entstandene Schuld
ist von der Schuld desselben unabhängig, er tritt neben
ihn als Gesamtschuldner. Folglich würde die Frau
durch Ereignisse, welche die Mietschuld ihres Ehemannes
hiernach ergreifen, nur nach den Regeln der §§ 420 ff.
betroffen werden, sich also z. B. auf einen Erlaß gemäß
§ 423 an sich nicht berufen können, ebensowenig auf
die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, wenn der Ver-
mieter seine Pflichten gegen den mietenden Ehemann nicht
erfüllt, z. B. ihm den Gebrauch der Mietwohnung entzieht
oder verkümmert.
b) Aber auch dem kann ich nicht beipflichten, daß es
dem zu unterstellenden Parteiwillen entspreche, die Frau nur
die Mieter pflichten, nicht auch die -rechte erwerben zu
lassen. Darin würde eine anstößige Einseitigkeit zugunsten
des Vermieters liegen, die ich nicht ohne weiteres mitmachen
kann. Es ist einfach nicht wahr, daß die Frau durch
ihre Stellung als Hausgenossin ihres Ehemannes genügend
gedeckt sei: das verpflichtet den Vermieter nur dem Manne,
aber nicht der Frau gegenüber, auch diese zum Gebrauch
der Mietwohnung zuzulassen. Sie wäre bei Reichels
Konstruktion schutzlos. Daß sie aber eigenen Schutzes
bedürfen kann, zeigt der Fall, wenn z. B. der Ehemann
die gemeinsame Wohnung verlassen hat, etwa ins Ausland
geflüchtet ist. Nach Reichel hätte die Frau dann keinerlei
eigene Rechte gegen den Hauswirt, müßte vielleicht selbst
die Wohnung räumen, ohne durch den abwesenden
Mann faktisch noch mitgeschützt zu werden. Von der
Pflicht zur Zinszahlung aber wäre sie trotzdem keines-
wegs entbunden — denn der Mann ist ja noch immer
Mieter, und ihm etwa zu kündigen, hat der Vermieter auch
in den hier unterstellten Fällen solange keinen Anlaß, als
er sich noch an die zahlkräftige Frau resp. ihre einge-
bracht en Sachen halten kann.
Das sind alles so bedenkliche Ergebnisse, daß ich
Reichels Konstruktion gegenüber wohl an meiner früheren
Auffassung entschieden festhalten darf.
Professor Dr. P. Oertmann, Erlangen. •
Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im
Zivilprozeß. In der Juristischen Gesellschaft v. 9. Nov.
1912 zu Berlin hielt JR. Dr. Springer einen interessanten
Vortrag über das Beweisverfahren im Zivilprozeß, (vgl.
den Bericht S. 82, 1913 d. Bl.), an den sich eine lebhafte Er-
örterung knüpfte. Man war allseitig darüber einig, daß
die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zwar vom Gesetz
als Regel gewollt, aber zur Ausnahme geworden ist und daß
die Beweisaufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten
Richter, die jetzt die Regel bilde, unter Umständen eine un-
nötige Wiederholung der Beweisaufnahme verursache.
Es ist das zweifellos alles richtig, aber trotzdem halte
ich eine Abänderung der jetzigen Vorschriften bei einer
Reform der ZPO. für überflüssig aus dem einfachen Grunde,
weil der Fehler gar nicht im Gesetz liegt, sondern darin,
daß sich viele Gerichte über das Gesetz hinwegsetzen und
hinwegsetzen müssen, weil ihre Geschäftslage ihnen nichts
anderes gestattet. Wenn z. B. das Kammergericht oder
die Berliner Landgerichte nicht nur die meisten hiesigen
Zeugen vor das Prozeßgericht laden wollten, sondern noch
auswärtige etwa aus Leipzig, Dresden, Halle, Stettin,
Magdeburg (die alle nicht in großer Entfernung von Berlin
wohnen), so müßte entweder eine große Anzahl von Senaten
und Kammern neu gebildet werden (wozu wohl wenig
Aussicht sein würde), oder es müßte eine unsagbare Ver-
zögerung der Prozesse eintreten. Bei den übrigen großen
Provinzialgerichten wird die Sache vermutlich auch nicht
anders liegen.
Dazu kommt noch folgendes. Unmittelbar ist die
Beweisaufnahme doch nur dann, wenn auf Grund ihres
frischen Eindrucks das Urteil gesprochen wird. Wie das
Gesetz sich das denkt, sagt die StrPO. in § 228. Nun
glaube ich, daß, selbst wenn die meisten Beweisaufnahmen
vor dem Kollegium stattfänden, der Prozentsatz dieser Fälle
im Zivilprozeß, namentlich bei den größeren Gerichten,
nur ein geringer wäre; das Nichterscheinen eines Anwalts,
das Fehlen eines Zeugen, das Vorbringen neuer Tatsachen