Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

12.6.3. Sicherungshaft gegen geisteskranke Verbrecher

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 6.

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auch kaum zu erwarten. Andererseits müssen die Spar-
kassen mit der Möglichkeit einer Kündigung und Rück-
zahlung der ihnen zugeführten Bareinlagen dauernd rechnen,
und wenn sie einen noch größeren Teil ihres Vermögens
als bisher in den durch das Gesetz vorgeschriebenen
Schuldverschreibungen anzulegen verpflichtet sind, könnte
sich leicht für sie bei einer notwendigen Veräußerung der
Bestände die gesteigerte Gefahr der Kursverluste und da-
mit wiederum eine indirekte, aber doch tatsächliche Kürzung
der Zinseingänge ergeben. Ist dies bei den allgemeinen
Wohlfahrtstendenzen, deren Förderung den Sparkassen ob-
liegt, wünschenswert? Auch erscheint die vorgeschriebene
Erhöhung der Anleihebeträge deswegen nicht ratsam, weil
hierdurch eine Minderung des in Hypotheken anzulegenden
Kapitals sich vollziehen und somit eine finanzielle Benach-
teiligung und Zurücksetzung der Grundbesitzer eintreten
dürfte, die mit mancherlei Bedenken und Mißständen ver-
knüpft ist.
Wird nun schließlich das Gesetz seinen eigentlichen Zweck
erfüllen oder auch nur annähernd erreichen? Auch dies ist sehr
zu bezweifeln. Der inländische Geldmarkt ist das Produkt
vielfältiger, durch Politik und Wirtschaft bedingter inter-
nationaler Verhältnisse teilweise ganz unberechenbarer
Natur. Hier kann die Einzelwelle nicht den Strom bilden
oder brechen, und die Anleihebestände der preußischen
Sparkassen, so hoch sie auch immer bemessen sein mögen,
werden sicherlich nie ein entscheidender Faktor der Kurs-
regulierung sein. Der tatsächliche Feingehalt des Gesetzes
v. 23. Dez. 1912, das auch in der Fassung des Wort-
lautes manches zu wünschen übrigläßt und teilweise zum
besseren Verständnis, z. B. § 3 Passus 1, aus dem Deutschen
ins Deutliche übertragen werden sollte, darf daher nicht
überschätzt werden.
Professor Dr. Warschauer, Berlin.

Sicherungshaft gegen geisteskranke Ver-
brecher. Da bis zur Durchführung des neuen StrGB. noch
geraume Zeit vergehen wird, sollte neben anderen dringen-
den Reformen auch die der Behandlung geisteskranker
Verbrecher schon jetzt erfolgen, was um so leichter ist,
als bei dieser Frage weder politische noch religiöse noch
prinzipielle Gegensätze eine erhebliche Rolle spielen werden.
Es mag daran erinnert sein, daß es sich um zwei
Gruppen von rechtsbrecherischen Elementen handelt, um
die geisteskranken Verbrecher, d. h. solche, die in geistes-
gestörtem Zustande Straftaten begangen haben und nach
der allgemein gültigen Rechtsauffassung strafrechtlich als
nicht verantwortlich gelten, ihrer Gefährlichkeit wegen aber
besonderer, gesetzlich festgelegter Maßnahmen bedürfen;
und zweitens um die wichtigere Gruppe, die Geistig-
minderwertigen. Diese letztere grenzt auf der einen Seite
an die erstere und auf der anderen geht sie in den Kreis
der Gesunden über. Es sind Persönlichkeiten, die man
mit einem bekannten Worte dahin charakterisieren kann:
sie sind für die Irrenanstalt zu gesund und für die Straf-
anstalt zu krank. So bewegen sich diese Grenzfälle von
geistiger Gesundheit und Krankheit zwischen Irrenanstalten
und Strafanstalten in ununterbrochenem Wechsel hin und
her. Dort werden sie für nicht anstaltspflegebedürftig, hier
für strafvollzugsunfähig erklärt. Die kurzen Phasen der
Freiheit werden nur zu neuen Straftaten verwertet. Ich
habe auf Grund dieser Tatsachen in meinem, dem Wiener
Juristentag erstatteten, Gutachten darauf hingewiesen, daß
unter allen Zukunftsaufgaben eines fortgeschrittenen Straf-
rechts die Sicherung der Gesellschaft gegen diese geistig
minderwertigen, vielfach sozial unbrauchbaren verbreche-
rischen Elemente an erster Stelle zu stehen hat. Wird

diese Frage zu einer schnellen Entscheidung gebracht, so
ist ein erheblicher Teil der praktischen strafrechtlichen Auf-
gabe einer späteren Bearbeitung vorweggenommen.
Der Weg, den diese zu nehmen hat, ist durch den
Vorentwurf und die Arbeiten der Strafrechtskommission,
besonders durch Kahls ausgezeichnete Behandlung der
Frage in der „Vergleichenden Darstellung des Deutschen
und Ausländischen Strafrechts“ vorgezeichnet. Daneben wird
die Verwertung von Anregungen des österreichischen Ent-
wurfs mit seiner klareren Formulierung erhebliche Vorteile
haben. Eins aber steht fest, daß die Frage genug geklärt
ist, um aus den gesetzgeberischen Vorarbeiten in die
Praxis übergeführt zu werden. Der Strafvollzugsbeamte
befindet sich in einer eigenartigen Lage, wenn er den
geistig minderwertigen Verbrecher innerhalb des Straf-
vollzugs in weitestem Maße berücksichtigen, nach über-
standener Strafe aber einen lebensunbrauchbaren, halb-
kranken Menschen mit der unbedingten Sicherheit auf Rückfall
in die Freiheit entlassen muß, um nach wenigen Wochen
dasselbe alte Spiel mit Strafverfolgung, Begutachtung und
Strafvollstreckung, periodisch einsetzender Irrenpflege usw.
von neuem zu beginnen. Die Schwierigkeiten, die zu
überwinden sind, werden auch später, sobald der Straf-
gesetzentwurf fertiggestellt sein wird, nicht geringer,
sondern im Verein mit weiteren finanziellen Forderungen
nur noch größer werden. Die reguläre Irrenpflege hat
allenthalben diesen Halbkranken gegenüber versagt, die
nach der geläufigen Formel „nicht anstaltspflegebedürftig“
sind. In der Tat bieten viele dieser gemeingefährlichen
Elemente außer ihren antisozialen Neigungen, die sich
durch geistige, moralische und soziale Defekte dokumen-
tieren, oft keine oder für längere Zeit keine auffälligen
Symptome, die sie im engeren Sinne als geisteskrank er-
kennen lassen und eine Versorgung in Irrenanstalten genügend
rechtfertigen. Es kommt hinzu, daß die allgemeine Tendenz
der gerichtsärztlichen Begutachtung mit Recht heute immer
mehr dahin geht, diese verbrecherischen Elemente dem
Strafvollzug, nicht der Irrenanstalt zu überweisen, so daß
erstere nicht selten mit Fällen zu rechnen hat, bei denen
man ernstlich bezweifeln muß, ob die Grenze der Zurech-
nungsfähigkeit nicht längstens überschritten ist. Die Abgren-
zung ist oft recht schwierig und wird in manchen Fällen
auf der subjektiven Meinung des Sachverständigen beruhen.
Es soll hier keine detaillierte Schilderung dieser Per-
sönlichkeiten, über die eine überreiche Literatur genügend
belehrt, gegeben und nur betont werden, daß ein Teil dieser
Elemente dem Strafvollzug erhebliche Schwierigkeiten durch
ihr reizbares, uneinsichtiges, unfügsames Wesen bereitet
und daß, wie die Berichte zahlreicher Strafvollzugsbeamten
lehren, jede Versorgung und Ueberwachung nach der Ent-
lassung auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten stößt.
Wie schwierig sich z. Z. die Versorgung geistig
minderwertiger und offenkundig gemeingefährlicher Ver-
brecher gestaltet, zeigt ein Urt. des Hanseatischen OLG. v.
22. Dez. 1911, in dem ausgeführt wurde, daß die drohende
Gefährlichkeit eines vielfach bestraften, oft irrenärztlich be-
handelten Verbrechers — er hatte bereits 10 Jahre Zuchthaus
verbüßt — nicht ausreiche, ihn in einer Irrenanstalt dauernd
festzuhalten.1) Der geisteskranke Verbrecher im engeren
Sinne gehört der regulären Irrenpflege zu; sie kann und
muß durch entsprechende Organisationen im Rahmen der
bestehenden oder durch den im Vorentwurf vorgezeichneten
Ausbau der Gesetzgebung für diese Elemente sorgen,
„Ein gewisses Maß von Gefahr muß aber in Betracht ge-
nommen werden, wenn ein früherer Geisteskranker von antisozialen
Neigungen aus dem Gewahrsam entlassen wird. . . . Nur wenn die
Gefahren für die Oeffentlichkeit überwiegen, rechtfertigt sich die
Detention.“ (Beilage z. Zeitschr. f. Med.-Beamte 1912.)

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