Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

12.1.3. Die Freiheit des Gesetzgebers

383

XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 6.

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daß der Käufer einen Anspruch auf Herabsetzung
des Preises nur dann habe, wenn er den Nachweis
erbringt, daß ihm der Verkäufer den billigeren Preis
auch bewilligt haben würde, ein Nachweis, welcher
bei Sachen mit Markt- oder Börsenpreis ab und an
gelingen mag, der aber bei Grundstückskäufen gegen-
über dem bestreitenden Verkäufer wohl kaum jemals
geführt werden wird. — Eine Herabminderung des
Preises bei Aufrechterhaltung des Vertrages im
übrigen ist also in der Regel nicht durchzusetzen.
Den Vertrag zum Teil bestehen zu lassen und zum
anderen Teil abzuändern, kann nicht gestattet sein.
Wie aber, wenn der Käufer den ganzen Ver-
trag preis gibt und den Schaden in der Weise
berechnet, daß er die durch den Vertragsschluß her-
beigeführten Vermögensabgänge ersetzt verlangt, wäh-
rend er die ihm erwachsenen V ermögensvorteile seinem
Gegner herausgibt? Kann er bei dieser Ausgleichs-
rechnung, anstatt demVerkäufer die Kaufsache in Natur
zurückzugeben, deren Wert im Gelde in Rechnung
stellen und die Sache selbst behalten? Aus den
oberstrichterlichen Entscheidungen läßt sieb, soweit
ich sehe, eine bündige Antwort auf diese Frage
nicht herauslesen.1) Dem Käufer die Wahl über-
lassen, ob er in Natur zurückgeben oder gegen den
angemessenen Preis behalten will, heißt aber die
grundsätzliche Bestimmung des BGB. außer acht
lassen, wonach der Schadensersatz in erster Linie
durch Realrestitution und nur in bestimmten Aus-
nahmefällen durch Geldentschädigung zu bewirken
ist. Gerade hier bewährt sich das Prinzip des
BGB. aufs beste. Die Rückerstattung eines Grund-
stücks in Natur vollzieht sich in der Regel ohne
besondere Weiterungen, während die Ermittlung des
Grundstückswerts eine der mißlichsten Obliegen-
heiten auf dem gesamten Rechtsgebiete ist und so-
wohl auf die Dauer der Prozesse wie auch auf die
materielle Richtigkeit der Entscheidungen den un-
günstigsten Einfluß ausübt: Taxen sind Faxen!
Hinzu kommt, daß die Rückgabepflicht in Natur
jene frivolen Prozesse im Keime erstickt, bei denen
es, wie oben ausgeführt wurde, auf nachträgliche
Preisdrückerei abgesehen ist.
Der das negative Interesse liquidierende Käufer
hat also seinen Klageantrag darauf zu richten, daß
er den Kaufpreis und seine sonstigen, durch den
Vertrag veranlaßen Ausgaben Zug um Zug gegen
Rückgabe des in seinen Besitz übergegangenen
Grundstücks zurückgezahlt verlangt. Seine Rück-
gabepflicht fällt fort, wenn ihm die Rückgabe un-
möglich geworden ist, es sei denn, er habe sich
schuldhaft in diese Unmöglichkeit versetzt. In
diesem Falle muß er statt des Grundstücks dessen
Wert auf seine Klageforderung abschreiben. Welche
Sorgfaltspflichten der betrogene Käufer gegenüber
dem Betrüger zu prästieren hat, ist eine im Gesetz
nicht geregelte, schwierige Frage, zu deren Er-
örterung hier der Raum fehlt.

q Für die Bejahung scheinbar JW. 1912 S. 863, für die Ver-
neinung RG. 56, 47 JW. 1910 8. 934,1911 S. 213, Lpz. Ztschr. 1911S. 150.

Die Freiheit des Gesetzgebers.
Von Kammergerichtsrat Otto Hagen, Berlin.
Wer sich von dem Gebiete des Zivilrechts
und Zivilprozeßrechts aus in das unbekannte Land
der Sozialversicherung hineinwagt, kann dort man-
cherlei finden, was zum Nachdenken auch über all-
gemeine Rechtsfragen herausfordert. Vor allem
eine dem Ziviljuristen ganz ungewohnte Art der Ge-
setzgebung, die freilich in neueren Verwaltungs- und
namentlich Steuergesetzen bereits gewaltig um sich
gegriffen hat. Wie man seinerzeit dem BGB. eine
übertriebene Vorliebe für Verweisungen zum Vor-
wurf machte, so trifft man hier auf Schritt und Tritt
auf reine Blankovollmachten: Der Bundesrat kann
bestimmen —, der Reichskanzler oder die oberste
Verwaltungsbehörde entscheidet, ob —, soweit nicht
dieses Gesetz den Geschäftsgang und das Verfahren
regelt, geschieht dies durch Verordnung des Reichs-
kanzlers, durch Kaiserliche Verordnung — usw.
Wird das Gesetz in Kraft gesetzt (zu einem durch
Kaiserl. Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats
bestimmten Zeitpunkte), so tritt es als Gerippe, als
Frühgeburt in die Welt. Die Ausführungsbestim-
mungen sind ganz oder zum Teil noch nicht fertig;
jede Erläuterung muß von einem dickleibigen Er-
gänzungsbande mit einer Sammlung der Ausführungs-
bestimmungen begleitet sein, zumal da diese meist
nicht an einer bestimmten gemeinsamen Stelle zu
finden sind, sondern aus sämtlichen Verordnungs-
blättern des Reichs und der Bundesstaaten mühsam
zusammengesucht werden müssen.
Das Angestellten Versicherungsgesetz v. 20. Dez.
1911 hat merkwürdige Belege dafür geliefert, was
praktisch bei dieser Methode der Gesetzgebung sich
ereignen kann. Für die Beitragsentrichtung hatte
das Gesetz ein kunstvolles und eigenartiges Ver-
fahren ausgebildet, welches auf einer Verquickung
des Melde- und Klebesystems beruhte. § 184 ge-
stattet der Reichsversicherungsanstalt, mit Genehmi-
gung des Reichskanzlers ein anderes Zahlungs-
verfahren zuzulassen. Auf Grund dieser Vorschrift,
die als Ausnahme gedacht war, ist mit einem Feder-
strich das gesetzliche System der Beitragsent ichtung
aus der Welt geschafft und Zahlung durch Post-
scheck vorgeschrieben worden. Nun ist das lästige
und beschwerliche Geschäft der Beitragseinziehung
eine Sache, deren Regelung schließlich dem Ver-
sicherungsträger allein nach Zweckmäßigkeitserwä-
gungen überlassen bleiben kann. Bedenklicher aber
ist folgendes:
Das Gesetz hat im ausdrücklichen Gegensatz
zur RVO. die erstinstanzliche Entscheidung über
die Rentenansprüche in die Hand unabhängiger Fest-
stellungsbehörden gelegt, auch in unstreitigen und
minder wichtigen Fällen.1) Diesen Feststellungsbe-
hörden („rechtsprechende Behörden“ nennt sie § 156)
wird in dieser Eigenschaft volle Unabhängigkeit von
der Reichs Versicherungsanstalt gewährleistet. Durch
q Die Verordnang v. 14. Febr. 1913 über Geschäftsgang und
Verfahren der Rentenausschüsse ist im RGBl. 1913 L. 103 veröffent-
licht worden.

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