11.4.
Vermischtes
11.4.1.
Brief aus Ungarn
(Adv. Dr. Ujlaki)
333
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 5.
334
2j/2 Monate betragen, i. J. 1912 belief sie sich nur auf
durchschnittlich 2 Monate. Zur Ablegung der mündlichen
Prüfung sofort nach Abgabe der praktischen Arbeit er-
klärten sich 71 Referendare bereit; ihrem Wunsche konnte
fast ausnahmslos entsprochen werden, so daß 14 Referendare
innerhalb dreier Monate die gesamte Prüfung abgelegt
haben. Andererseits erbaten nicht weniger als 282 Kandidaten
unter Vorlegung ärztlicher Bescheinigung die Hinausschiebung
dtes Prüfungstermins auf 3 bis 4 Monate. 202 Referendare
traten von dem Termin nach der Ladung zurück; in 72 (i. J.
1911 55) Fällen war eine Ersatzladung nicht möglich.
lieber das Prädikat der Prüfung, das bei den
jetzigen Anstellungsverhältnissen von besonderer Wichtig-
keit ist, sei folgendes bemerkt: Von den 1162 Kandidaten,
die bestanden haben, erhielten 1034 die Zensur „aus-
reichend“, 125 das Prädikat „gut“ und 3 (ebensoviel wie
im Vorjahre) haben die Prüfung „mit Auszeichnung“ be-
standen. Der Prozentsatz der Bestandenen, die das Prädikat
„gut“ oder „mit Auszeichnung“ erhalten haben, betrug
11,0 gegen 11,3 i. J. 1911, 12,3 i. J. 1910, 12,5 i. J.
1909 und 14,0 i. J. 1908, so daß eine allmähliche Ab-
nahme stattgefunden hat. Allerdings ist im letzten Jahre
eine neue Unternote eingeführt worden, indem bei 135
Referendaren, die „ausreichend“ bestanden haben, die
Leistungen als „nahezu gut“ bezeichnet werden konnten.
Von den einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken erzielte,
wie gewöhnlich, der Kammergerichtsbezirk die besten Re-
sultate, indem nur 17,8 v. H. der Geprüften nicht be-
standen, während 15,3 v. H. das Prädikat erhielten. Am
ungünstigsten war das Ergebnis im Bezirk Hamm, wo
67 Kandidaten (30,9 v. H. aller) durchfielen, darunter 16
zum zweiten Male.
Vermischtes.
Brief aus Ungarn. Der parlamentarische Kampf
zwischen Majorität und Minorität, welcher zu der passiven
Resistenz, d. h. dem Fernbleiben der letzteren von der
parlamentarischen Tätigkeit geführt hat, gehört dem Reiche
der Politik an. An dieser Stelle soll daher nur das Er-
gebnis positiver gesetzgeberischer Tätigkeit im letzten
Halbjahre geschildert werden.
Zunächst wurde der unter dem Sammelnamen „Wehr-
gesetze“ bekannte Komplex, darin auch die langersehnte
Militärstrafprozeßordnung, erledigt. Sodann folgte
in raschem Laufe die Verabschiedung einer Anzahl hoch-
wichtiger Gesetze, von denen folgende hervorgehoben seien.
Das Ges. v. 13. Aug. 1912, betr. Einführung der
neuen ZPO., nach welchem die ZPO. an dem durch den
Justizminister zu bestimmenden Tage, spätestens aber am
1. Sept. 1914 ins Leben treten soll, enthält außer den üblichen
Einführungs- und Uebergangsvorschriften eine ganze Reihe
wichtiger Reformen auf den verschiedensten Rechtsgebieten,
u. a. Vorschriften, betr. die Sicherung einer einheitlichen
Judikatur, ferner betr. die gerichtliche Bemessung von An-
waltsgebühren, die Aufnahme in die staatlichen und privaten
Irrenanstalten, die Errichtung neuer Börsenschiedsgerichte
usw. Zum Schutz der Ehre verbietet das Gesetz unter
Strafandrohung (Gefängnis bis zu drei Monaten und Geld-
strafe bis zu 1000 K) in Straf-, Disziplinär-, Ehesachen
und sonstigen Angelegenheiten heiklerer Natur die Ver-
öffentlichung jedweden Aktes, ja selbst der Initiativ-
eingabe, ohne vorhergehende Einwilligung der zuständigen
Behörde. Ganz neu sind die Vorschriften, betr. die Voll-
streckung ausländischer Exekutionstitel, die in
Ungarn mangels besonderer Staats Verträge künftig nur voll-
streckt werden sollen, wenn die Anerkennung derselben
durch die Bestimmungen der ZPO. nicht ausgeschlossen
ist. Die Ausschließungsgründe decken sich im großen und
ganzen mit § 328 der deutschen ZPO., doch ist die Vor-
schrift, betr. Zuständigkeit des erkennenden Gerichtes, der-
art festgesetzt, daß die Anwendung eines fremden Zuständig-
keitsgrundes im bloßen Retorsionswege (§101 österr. Juris-
diktionsnorm) ausgeschlossen wird. Von großer Tragweite ist
diese Neuregelung besonders für Oesterreich, welches dadurch
seine gegenwärtige günstige Sonderstellung einbüßen soll.
Bedeutsame und rationelle Bestimmungen im Interesse
der Staatsangestellten enthalten das Gesetz v. 12. Juli
1912 sowie das neue Pensionsgesetz v. 31. Dez. 1912.
Ersteres gewährt unter der Benennung „Familienzulage“ eine
Gehaltsergänzung, welche ohne Rücksicht auf die Gehalts-
klasse je nach der Kinderzahl 200—600 K beträgt; letzteres
setzt die bisherige einheitliche Dienstzeit von 40 Jahren
für akademisch gebildete Beamte auf 35 Jahre herab.
Die durch den Balkankrieg veranlaßten Gesetze
wurden von anderer Seite in d. Bl. bereits besprochen1);
das ungarische Ges. betr. den Einfluß höherer Gewalt
auf die Rechte aus dem Wechsel weicht von dem einschlägigen
österr. Gesetze insoweit ab, als es seinen Geltungsbeginn auf
den 30. Sept. 1912 setzt und seine Bestimmungen auch auf
Schecks und kaufmännische Anweisungen ausdehnt.
Der letzte Tag des Jahres 1912 erlangte hohe Be-
deutung durch die Einbringung der Wahlrechts Vorlage
im Abgeordnetenhause. Sie dürfte schwere Kämpfe herauf-
beschwören; zunächst veranlaßte sie einen Ministerwechsel,
indem Justizminister Szekely seine Demission gab; sein
Nachfolger wurde der auch in Deutschland wohlbekannte
Kriminalist und ehern. Prof. Staatssekretär Dr. v. Baiogh.
Am 24. Jan. 1913 ging dem Parlament der Gesetz-
entwurf betr. die Jugendgerichte sowie das Verfahren
in Strafsachen von Jugendlichen zu. Im Sinne desselben
sollen bei den Gerichtshöfen und bei einzelnen Bezirks-
gerichten besondere Jugendgerichte gebildet werden. Die
Jugendrichter werden aus den Richtern des betr. Gerichts
durch den Justizminister auf 3 Jahre delegiert. Den
Jugendgerichten, welche als Einzelgerichte Vorgehen sollen,
wird auch die Anwendung und Durchführung der erziehe-
rischen Maßnahmen der StrGes.-Novelle v. J. 1908 ob-
liegen; ihre sachliche Zuständigkeit erstreckt sich auf alle
Delikte, mit Ausnahme der mit Tod oder Zuchthaus zu
ahndenden und der Preßdelikte. Das Verfahren weicht
von jenem der StrPO. zunächst darin ab, daß auch das
Vorbereitungsverfahren durch den Jugendrichter geleitet
wird; die übrigen Grundprinzipien des allgemeinen Straf-
verfahrens (Anklage-, Legalitäts-, Öffentlichkeitsprinzip) er-
fahren ebenfalls entsprechende Aenderungen und Einschrän-
kungen. Als Rechtsmittel ist eine einstufige Berufung
sowohl in der Tatbestands- als in der Rechtsfrage zulässig.
Betr. die Anwendung des Haager Abkommens v.
12. Juni 1902 über die Ehescheidungen auf solche Ehe-
streitigkeiten, welche vor dem 22. Nov. 1911, dem Ein-
führungstage, in Zug gesetzt wurden, ergingen im Herbst
des Vorjahres zwei divergierende Entscheidungen unseres
obersten Gerichtes. In der ersten heißt es, daß das Ab-
kommen bloß auf solche Rechtsstreitigkeiten angewendet
werden könne, in denen die Streitanhängigkeit vor dem
22. Nov. eingetreten war, und daß diese nicht mit der
Einbringung, sondern mit der Zustellung der Klage ein-
trete, während die spätere Entscheidung die Frage über-
haupt nicht auf prozessualer, sondern auf materieller Grund-
lage löst und erklärt, daß das Abkommen als ethische
Ziele verwirklichendes Gesetz auf alle, am Einführungs tage
noch anhängigen Angelegenheiten angewendet werden müsse.
Advokat Dr. Josef Ujlaki, Budapest.
0 „Brief aus Oesterreich“, S. 147, 1913 d. Bl.