10.2.
Juristische Rundschau
Von Rechtsanwalt Dr. Hachenburg, Mannheim
271
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 4.
272
aber auch Pflicht der Anwälte, hierzu ihre Hand zu
bieten; die Anwaltschaft wacht sonst so sehr über
die Aufrechterhaltung der Disposition- und Ver-
handlungsmaxime, so möge sie es auch hier tun.
Freilich ist eine gute Vorbereitung des Prozesses nur
bei entsprechender persönlicher Tätigkeit des Anwalts
möglich. Von nicht geschulten Hilfskräften kann
diese Arbeit nicht geleistet werden.
Nun halten es manche Anwälte im Interesse
ihrer Partei für ihre Pflicht, Vertagungen zu ver-
meiden und die Vernehmung eines Zeugen in der
Hoffnung, daß er etwas zur Sache doch noch aus-
zusagen habe, dadurch zu erreichen, daß sie sich
auf richterliches Befragen eine Substantiierung aus-
denken. Dem muß das Gericht entschieden ent-
gegentreten, und einem erfahrenen Richter wird es
nicht schwer fallen, solche Versuche zu erkennen.
Natürlich darf man aber auch hier nicht aus
Prinzipienreiterei übertreiben. Es gibt zahlreiche
Fälle, wo der Richter trotz mangelhafter Sub-
stantiierung zu einer Beweisaufnahme schreiten wird,
weil er nur so zu einem praktischen Ergebnisse ge-
langt. So, wenn etwa der Kläger einen Anspruch als
Rechtsnachfolger geltend macht; er wird hier vielfach
beim besten Willen nicht imstande sein, substantiierte
Behauptungen aufzustellen; ein praktisch denkender
Richter wird dann keine Bedenken haben, Beweis zu be-
schließen; ob das einer rein theoretischen Betrachtung
als bedenklich erscheinen kann, mag auf sich beruhen;
in der Praxis wird man davor nicht zurückscheuen.
Solche Fälle sind aber Ausnahmen, und sie
unterscheiden sich himmelweit von denen, wo die
Partei aus Nachlässigkeit keine Angaben macht oder
absichtlich aus der Luft gegriffene Behauptungen
aufstellt und dadurch unnötige Arbeit und Kosten
und Verzögerung anderer Prozesse verursacht unter
Mißbrauch der Beweisaufnahme zu einem Zweck,
zu dem sie nicht gegeben ist.1)
Juristische Rundschau.
Der Reichstag hat einem Antrag zugestimmt,
wonach er das preußische Enteignungsgesetz
und seine Anwendung mißbilligt. Der Reichstag
kann allerdings jetzt eine Interpellation mit einem
Beschlüsse enden. Er kann seine Meinung ver-
fassungsmäßig aussprechen. Aber selbstredend nur
für Gegenstände, die zu seiner Kompetenz gehören.
Diese ist im vorliegenden Falle nicht vorhanden.
Gäbe es einen Gerichtshof, der über die Gültigkeit
des Beschlusses zu entscheiden hätte, so würde er
hier die Ungültigkeit aussprechen. Freilich wäre
eine Erklärung, die sich innerhalb der Grenze der
Reichsangelegenheiten hält, auch nichts anderes als
eine Meinungsäußerung ohne staatsrechtliche Folge.
*) Uebrigens wird, worauf noch hingewiesen sein mag, genau
der analoge Mißbrauch, wie er oben geschildert ist, auch in einem
nahe verwandten Falle getrieben: Wenn die Partei für eine rechtlich
erhebliche Tatsache den Indizienbeweis antritt, so ist es ihre Sache,
die Indizien anzugeben, sie darf aber nicht nur einfach die Tatsache
selbst unter Beweis stellen. Denn erstens wird das Gericht vielleicht
den Beweis der Indizien für belanglos halten, weil es aus ihnen doch
nicht die Ueberzeugung von der Wahrheit der zu beweisenden Tatsache
gewinnen würde, und zweitens sind die Indizien vielleicht unstreitig.
Die Alarmierung der Garnison Straßburg
durch ein gefälschtes Telegramm eines entlassenen
Militärbeamten löst recht gemischte Gefühle aus.
Zu einer Heiterkeit wie beim Hauptmann von
Köpenick ist die Sache zu ernst. Ist der Täter
nicht wirklich geistesgestört, so wird seine Bestrafung
von der öffentlichen Meinung erwartet. Eine Ur-
kundenfälschung ist aber zweifelhaft. Liegt eine
Urkunde vor, die zum Beweise von Rechten oder
Rechtsverhältnissen erheblich ist, wenn das Tele-
gramm die Ankunft des Kaisers meldet? Wer die
Arbeiten der Strafrechtskommission verfolgt, weiß,
wie sich diese um den Urkundenbegriff bemüht.
Hier hat man wieder einen Fall, der dem Krimina-
listen zu denken gibt.
Wenige Tage vorher wurde die „Neue freie
Presse“ in Wien das Opfer einer Mystifikation.
Der Nachtredaktion wurde aus Mährisch-Ostrau
unter dem Namen ihres langjährigen Korrespondenten
eine große Gasexplosion in Schönbrunn unter Angabe
einer Anzahl von Toten und Verwundeten berichtet.
Die Nachricht erschien im nächsten Morgenblatt.
Es war kein Wort davon wahr. Wird der Täter
entdeckt, so wünscht wieder das Volksempfinden
seine Bestrafung. Und wieder wird sie dem Juristen
Schwierigkeiten bereiten. Vielleicht, daß hier die
weite Fassung des § 197 österr. StrGB. hilft. Zum
Betrüge ist dort nicht die Erlangung eines rechts-
widrigen Vermögensvorteils verlangt. Es bedarf nur
der Schädigung des Belogenen.
Zum Reichskaligesetz ist eine Novelle zu
erwarten. Das hat die Regierung im Reichstage
angekündigt. Auf sie weist auch die Resolution des
Reichstages hin. Die in der Novelle zu erwarten-
den Bestimmungen sollen auf solche Werke rück-
wirkende Anwendung finden, die nach dem 15. Jan.
1913 in Angriff genommen sind. Der Zweck der
Novelle wird ein Eindämmen der Eröffnung neuer
Betriebe sein. Ob dies gelingen wird und welche
Mittel hierzu geeignet sind, ist heute schwer zu be-
urteilen. Die Resolution des Reichstages ist als
Warnung aufzufassen. Sie soll einem Ausnützen
der Zwischenzeit bis zur Erlassung des Gesetzes
durch die Spekulation die Türe verschließen. Ob
dieser Zweck erreicht wird, hängt wieder davon ab,
ob der Zeitpunkt nicht schon zu spät gesetzt ist.
Der Reichsanzeiger veröffentlichte am 25. Jan.
den Entwurf eines preußischen Wohnungs-
gesetzes. Es soll erst im Herbst dem neugewählten
Landtag zugehen. Es soll dem Schutze der auf
Kleinwohnungen angewiesenen Bevölkerung dienen.
Es soll die Herstellung der in gesundheitlicher,
sozialer und sittlicher Beziehung einwandfreien
Wohnungen gefördert werden. Die Hemmnisse hier-
gegen sollen beseitigt werden. Es soll dahin ge-
wirkt werden, daß die Mietpreise in angemessenen
Grenzen bleiben. Als Mittel hierzu erscheint neben
einzelnen auf dem Gebiete des Bauwesens liegenden
Bestimmungen ein planmäßiges Einschreiten gegen
die vorhandenen, überfüllten und schlechten Woh-
nungen. Das Ziel ist aufs innigste zu wünschen.
Ist erst der erste Schritt getan, so werden die
anderen folgen müssen.
Der deutsche Reichstagsabgeordnete Wet-
te rle hat durch eine Agitationsreise und Agitations-
reden in Frankreich Aufsehen erregt. Der Reichstag
hat das Verhalten allgemein mißbilligt. Es wurde
dabei das Bedauern ausgesprochen, daß dem