Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

9.6.2. Der Preußische Justizetat 1913

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XVIII. Jahrg. D e ut s che.'Juris t en-Zeitung. 1913 Nr. 3.

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aufgenommen ist. Allein abgesehen davon, daß die Aus-
dehnung des § 4 Nr. 1 auf das sich Erbieten zu einer
hochverräterischen Handlung sehr zweifelhaft ist, fehlt
auch eine bestimmte hochverräterische Handlung, zu der
sich Wetterld erbietet. Die zugesagte Agitation für die
Eosreißung von Elsaß-Lothringen, falls Frankreich einen
Krieg gegen Deutschland beginnt, genügt nicht als solche.
Hiernach bleibt als Strafe des Wetterle für seine
ruchlose Unternehmung, als Deutscher und als Mitglied des
Deutschen Reichstages, wie des Elsaß-Lothringischen Land-
tages, in Frankreich von Ort zu Ort zu ziehen, zu einer
Zeit, wo nach allem Anschein die Erhaltung des Friedens
zwischen den Großmächten und darunter vor allem auch
zwischen Frankreich und Deutschland auf des Messers
Schneide stand, in fanatischem Deutschenhaß überall die
Franzosen zum Kriege gegen Deutschland und zum Los-
reißen Elsaß-Lothringens von Deutschland aufzureizen und
dabei sein und seiner Genossen Agitation für die Los-
reißung zuzusagen, nur die Verachtung übrig, die er
sich dadurch im ganzen deutschen Volke gesichert hat.
Wenn Wetterle, als die Franzosen Elsaß-Lothringen an
Deutschland abtraten, Franzose bleiben wollte, so stand es
ihm frei, für Frankreich zu optieren. Nachdem er dies
nicht getan, ist seine Ausweisung aus Deutschland, da er
Deutscher ist, nicht mehr möglich. So wird er, wenn es
ihm, wie doch anzunehmen ist, unerträglich werden wird,
noch weiter in Deutschland als allgemein Verachteter und
Ausgestoßener zu leben, sich selbst ausweisen und in sein
geliebtes Frankreich übersiedeln müssen.
Wegen einer der vorstehend nicht aufgeführten Schmä-
hungen Deutschlands, mit denen Wetterle seine Vorträge
in Frankreich ausgeschmückt hat, könnte möglicherweise
seine Verfolgung und Bestrafung durchführbar sein. Es
ist dies die Behauptung, daß die neue elsaß-lothringische
Verfassung dem Lande nur gegeben worden sei, um sich
ihrer gegen dasselbe zu bedienen. Wetterle muß als Ab-
geordneter wissen und weiß auch unzweifelhaft, daß man
diese Verfassung dem Lande, wenn auch, wie sich sehr
bald herausstellte, viel zu früh, lediglich in der wohlge-
meinten Absicht verliehen hat, Elsaß-Lothringen imDeutschen
Reich selbständiger zu machen. Er hat also eine erdichtete
Tatsache wissend, daß sie erdichtet ist, öffentlich behauptet
und verbreitet, um dadurch eine Staatseinrichtung ver-
ächtlich zu machen. Indessen ist diese in § 131 StrGB.
mit 2 jährigem Gefängnis als Höchststrafe bedrohte Hand-
lung zunächst im Auslande geschehen und insoweit, da die
Handlung keine hochverräterische ist, gemäß § 4 Nr. 3
StrGB., der übrigens im VE. verständigerweise geändert
ist, eine Verfolgung des Wetterle dieserhalb nur möglich,
wenn die Handlung auch in Frankreich, wo sie begangen
wurde, mit Strafe bedroht ist. Eine Behauptung oder Ver-
breitung einer erdichteten Tatsache, um dadurch deutsche
Staatseinrichtungen verächtlich zu machen, ist aber in Frank-
reich nicht strafbar, und es müßte daher, um eine Verfol-
gung und Bestrafung des Wetterle wegen dieser wissentlich
falschen Behauptung zu ermöglichen, erst festgestellt
werden, daß er solche auch in Deutschland verbreitet hat.
Wir kl. Geh. Rat Dr. Hamm, Bonn.

Der Preußische Justizetat 1913. Wir schwimmen
im Golde — dies der Eindruck der Etatrede des Finanz-
ministers. 1911 schließt um 167 Millionen, 1912 nach
jetziger Schätzung um etwa 134 Millionen günstiger ab
als der Voranschlag. Der wirkliche Ueberschuß für 1912
ist auf 172 Millionen zu schätzen. Diese Lage spiegelt
.auch der Justizetat wider: Die Einnahmen im ordentlichen
Etat — um 6,7 Millionen — 6 % höher — steigen auf

121,5 Millionen. Die Ausgaben — jetzt 204,9 Millionen —
weisen eine Erhöhung um 6,8 Millionen = etwa 4 °/0 auf.
Die prozentuale Steigerung bei den Einnahmen ist also
größer als bei den Ausgaben, so daß insgesamt der Zu-
schuß von 85,4 auf 84,2 Millionen sinkt.
In allen Zweigen der Verwaltung hat sich ein Mehr-
bedarf geltend gemacht. Im Justizministerium ist ein dritter
Ministerialdirektor erforderlich geworden, nachdem 1898
ein zweiter bewilligt worden und seitdem die Zahl
der Vortragenden Räte von 15 auf 23 gestiegen ist. —
Bei den Oberlandesgerichten sind 5 Stellen für Senats-
präsidenten, 20 für Räte, 2 für Staatsanwälte, bei den Land-
gerichten 7 für Direktoren, 54 für Landrichter, 13 für
Staatsanwälte, bei den Amtsgerichten sind 47 für Richter,
2 für Amtsanwälte vorgesehen = 150 neue Stellen; davon
sollen etwa 40 den Unterricht der Referendare, also neue
Aufgaben, übertragen erhalten. Dem entspricht die Ver-
mehrung der mittleren und unteren Stellen, so z. B. 11
Sekretäre und 13 Kanzlisten bei den Oberlandesgerichten,
175 Sekretäre, 44 Assistenten, 167 Kanzlisten, 80 Gerichts-
diener bei den Land- und Amtsgerichten — wiederum
zirka 500 neue Stellen. Wo will das noch hinaus? Und
doch ist’s nötig. Es ist nicht leicht, vergleichbare Zahlen
heranzuziehen. Den verhältnismäßig sichersten Anhalts-
punkt für die Steigerung der Geschäfte bieten die Ein-
nahmen aus Kosten und Strafen. Wenn diese um zirka
6 % stiegen, so wäre eine Steigerung des Richterpersonals
um 6 % die normale — die der Land- und Amtsrichter
ist vorgesehen von 5078 auf 5179, um 101, also um 2%l
Unsere Bevölkerung steigt alljährlich um zirka IV2
schon das ließe eine durchschnittliche Steigerung des
Beamtenpersonals um 1*4 0/0 geboten erscheinen. Die
durch die Steigerung der Bevölkerung tatsächlich herbei-
geführte dichtere Zusammenziehung der Bevölkerung an
einzelnen Orten bewirkt aber eine weit größere Stei-
gerung der Geschäfte. Je dichter die Bevölkerung, desto
größer die Reibungsflächen, desto intensiver das wirt-
schaftliche Leben — auch über den Prozentsatz der
Steigerung der Bevölkerung hinaus. — Wir hatten 1902
auf 35,6 Millionen Einwohner 4056 Land- und Amtsrichter,
d. h. auf zirka 8700 Einwohner je einen erstinstanzlichen
Richter, 1913 haben wir auf zirka 41,6 Millionen Einwohner
5179 Richter, d. h. auf zirka 8050 je einen. Das ist zwar
eine wesentliche Steigerung, aber da 1902 das Verhältnis
kein normales war, schon deshalb noch kaum eine genügende.
Daß die Steigerung des Personaletats noch nicht zum
Abschluß gelangt ist, erhellt auch unmittelbar aus dem
Etat. Der Titel für Hilfsarbeiter ist bei den Oberlandes-
gerichten von 450000 auf 826830, also um 376830 M.
erhöht — in Wirklichkeit sogar noch um diejenigen weiteren
126200 M., die infolge des Ersatzes von Hilfsarbeitern durch
neue etatsmäßige Kräfte erspart werden, also im Resultat
um rund 500000 M., d. i. um mehr als 100 °/0! Noch
einmal: wo will das hinaus? Die ordentlichen Ausgaben
betrugen 1902 115,6 — heute 204,9 Millionen — in
11 Jahren eine Steigerung um 80°0! — Die Dezentrali-
sation, die Erweiterung der Kompetenz der Amtsgerichte,
die Verminderung des Schreibwerks — sie haben nicht
wesentlich geholfen. Die starke Vermehrung bei den
Oberlandesgerichten, die Ueberlastung des Reichsgerichts
— trotz der Hilfssenate — beweisen es. Hier helfen
nur noch große Mittel: erstklassige Ausbildung der Richter,
scharfe Auswahl, hohe Ansprüche — die Justizverwaltung
hat hier ja schon dankenswerterweise angesetzt — eine
Gerichtsorganisation, die noch weit radikaler dezentrali-
siert, einen Prozeßaufbau, der es dem Richter ermöglicht,
so manches leere Stroh ungedroschen zu lassen, rascher,
sicherer, mit weniger Kraftaufwand zum Ziele zu kommen

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