8.4.4.
Personalien
8.5.
Vereine und Gesellschaften
8.5.1.
Vortrag von Prof. Dr. Reichel: Der Wucher und seine Bekämpfung
8.5.2.
12. internationale Versammlung der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung
8.6.
Neue Gesetze, Verordnungen und dergl. des Reichs und der Einzelstaaten
149
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 2.
150
-dieses damit erst von den Resten privatrechtlicher Miß-
verständnisse befreit, auf Grund dessen die Lehren von
der Strafbarkeit im Auslande begangener Missetaten, von
der Delikts-Konkurrenz, von der Verjährung und von
■der Begnadigung, auch vom Unterschiede zwischen Kri-
minal- und Polizei-Unrecht in unserem Sinne aufgebaut hat.
Andererseits subjektiv, indem Köstlin mit Hegels Be-
kämpfung des bösen Willens im Verbrecher Ernst gemacht
hat und dadurch, die heutige Praxis vorwegnehmend, dazu
gekommen ist, auch den untauglichen Versuch für straf-
bar zu erklären, die Abtrennung des Gehilfen vom Mit-
täter lediglich darauf abzustellen, ob ein Beteiligter sich
selbst als bloßes Mittel für andere oder als eigenen Zweck
seiner Handlung setzt, ähnlich auch dem dolus eventualis
volles Recht wieder einzuräumen.
So hat Köstlin durch eine Reihe von Lehrbüchern
und Schriften, besonders durch seine „Neue Revision der
Grundbegriffe des Kriminalrechts“ von 1845 zahlreiche
Gedanken angeregt, deren Tragweite über ihre unmittel-
baren Zusammenhänge hinausführt. Der verrufene Hege-
lianismus der „klassischen Schule“ ist bei ihm eben liberal,
der „Moderne“ entgegenkommend gerichtet. Auch daß
Köstlin für seine Zeit dem Fortschritte gehuldigt hat, nament-
lich unbedingt für Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Ver-
fahrens und, als davon unabtrennbar, für Geschworenen-
gerichte eingetreten ist, soll ihm unvergessen bleiben. Es
steht das im Zusammenhänge damit, daß er als Historiker
«eher der germanistischen Richtung zuneigt, für die er
interessante kriminalgeschichtliche Studien beigetragen hat.
Sein früher Tod hat ihm dann die Entwicklung ab-
geschnitten, zu der die um nur weniges jüngeren seiner'
Schul-Nebenbuhler (Berner, Hälschner) gekommen sind,
die positivistische Aus- und Umgestaltung der gemeinrecht-
lich-ab sti akten Begriffe durch Anlehnung an ein partikula-
jristisches Strafgesetzbuch modernen Stils, die auch er sich
vorgesetzt hatte, zu der er aber nicht mehr gelangt ist.
Er steht uns infolge dessen ferner, mehr unvermittelt gegen-
über als jene, aber ebendarum auch einheitlicher, fester,
typischer, als unerschüttert treuer Gefolgsmann seines
schwäbischen Stammesgenossen, dessen Banner er in der
Jurisprudenz entfaltet hat. Auch wer von jeder über-
schwänglichen Einschätzung Hegelscher Rechtsphilosophie
und Begriffsdialektik sich frei weiß, wird gern an Köstlins
Beispiel feststellen, daß da unter hart und herb gewordener
.Schale noch viel Beherzigenswertes hervorzuholen ist.
Professor Dr. Landsberg, Bonn.
Personalien. Unterstaatssekretär im preuß. Kultus-
ministerium, Wir kl. Geh. Oberregierungsrat D. v. Chappuis
und Ministerialdirektor in demselben Ministerium, Wirkl.
Geh. Oberregierungsrat Dr. von Bremen, Berlin, sind
zu Wirkl. Geh. Räten mit dem Prädikat Exzellenz, Ober-
landesgerichtspräsident Kirchner, Kiel, ist zum Wirkl.
Geh. Oberjustizrat mit dem Range der Räte I. Kl., Ministerial-
direktor im bayr. Ministerium der Justiz Ritter von Dan dl,
München, zum Chef des Kabinetts des Prinzregenten von
Bayern mit dem Rang und Titel eines Staatsrats im außer-
ordentl. Dienste ernannt, dem hessischen Justizminister
Dr. Ewald, Darmstadt, ist der erbliche Adel verliehen
worden. — Ord. Prof. Dr. Triepel, Kiel, ist in gleicher
Eigenschaft für Staats- und Verwaltungsrecht an die Univ.
Berlin berufen worden; er beginnt seine Lehrtätigkeit in
Berlin im Herbst d. J. — Landgerichtsrat Prof. Dr. Fried-
rich, Gießen, folgt einem Rufe auf die neuerrichtete haupt-
amtliche Professur für öffentliches Recht an der Hochschule
für kommunale und soziale Verwaltung in Köln; ao. Prof. Dr.
Kaufmann, Kiel, folgt einem Rufe als ord. Prof, an die Univ.
Königsberg. — Bezirksrichter Dr. von Liszt, Wien, hat
sich an der Univ. Graz habilitiert. — Der Senatspräsident am
Oberverwaltungsgericht, Wirkl. Geh. Oberregierungsrat Dr.
jur.»med. und theol h. c. von Strauß und Torney, Berlin,
feierte am 13. Jan. 1913 seinen 75. Geburtstag. lieber seine
beruflichen und litei arischen großen Verdienste haben wir
bereits S. 1076, 1911 d. Bl. berichtet. So können wir uns
heute darauf beschränken, der Hoffnung Ausdruck zu
geben, daß es ihm noch lange Jahre vergönnt sein möge,
seines Amtes in gleicher Frische zu walten, von Strauß
hat sich auch um die Allgemeinheit durch seine humanitäre
und soziale Wirksamkeit große Verdienste erworben. Möge
es unserem hochgeschätzten Mitarbeiter, dem eine sonnige
Frohnatur eigen ist, beschieden sein, auch auf diesem
Gebiete noch lange Jahre vorbildlich zu wirken! —
Gestorben sind Prof. Dr. Teichmann, Basel, und im Alter
von 81 Jahren die Witwe Rudolf von Gneists in Berlin.
Vereine und Gesellschaften.
Der Wucher und seine Bekämpfung. In seinem
am 7. Nov. 1912 in Zürich gehaltenen akademischen Rat-
hausvortrag führte Prof.Dr.Reichel, Zürich, folgendes aus.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts faßte man den
Wucher ganz äußerlich auf und bekämpfte ihn mit mecha-
nischen und unzulänglichen Mitteln (Zinsschranke, laesio
enormis, vgl. § 934 ABGB.). Kein Wunder, daß der
ökonomische Individualismus der Freihandelsschule die
ganze Wuchergesetzgebung über den Haufen warf. Der
Wucher muß vielmehr psychologisch erfaßt und individuali-
sierend bekämpft werden. Das Gemeine Recht des aus-
gehenden 19. Jahrhunderts nahm diese Aufgabe an die
Hand. Es fand das Charakteristikum des Wuchers zu-
treffend in der Ausbeutung fremder Schwäche. Diese
Ausbeutung wurde für sittenwidrig und demgemäß das
Wuchergeschäft für nichtig erklärt. Diese Auffassung, der
auch BGB. § 138 Abs. 2 folgt, ist bedenklich. Die Un-
sitilichkeit des Wucherers macht das Wuchergeschäft selbst
nicht zu einem inhaltlich unsittlichen. Das Wuchergeschäft
steht vielmehr mit dem betrügerischen und erpresserischen
auf einer Linie. Es verdient daher gleiche Behandlung wie
dieses. Zutreffend sonach die neue Bestimmung des Schweiz.
Obl.-Rechts von 1911 Art. 21, wo dem Bewucherten ledig-
lich ein Anfechtungsrecht nach Analogie von § 123 BGB.
gegeben ist. Noch glücklicher aber die (durch das OR.
leider außer Kraft gesetzte) Wuchergesetzgebung des Kan-
tons Zürich: das wucherische Geschäft wird auf Antrag des
Bewucherten auf das erträgliche Maß herabgesetzt. Nach
gleicher Richtschnur verfährt das BGB. in §§ 655, 343, 315.
Die Internationale KriminalistischeVereinigung
wird ihre zwölfte internationale Versammlung vom 27.
bis 31. August 1913 in Kopenhagen abhalten. Der
dänische Justizminister Exz. Bülow hat den Ehrenvorsitz
übernommen. Auf der Tagesordnung stehen die Fragen:
1. Das Gesetz muß bestimmte Schutzmaßnahmen einführen
zur Sicherung der Gesellschaft vor Verbrechern, welche
angesichts ihrer Rückfälligkeit, ihrer allgemeinen Lebens-
führung oder ihrer ererbten sowie sonstigen persönlichen
Eigenschaften gemeingefährlich erscheinen. Das Gesetz
muß hierbei bestimmen, wann der hierzu erforderliche Tat-
bestand jener Rückfälligkeit, allgemeinen Lebensführung
oder ererbten oder sonstigen persönlichen Eigenschaften
vorliegt. Berichterstatter: die Professoren N ab o ko ff,
Garraud und Cornateano. 2. Die Umgestaltung des
juristischen Unterrichts und die Unterweisung der Beamten,
welche mit der Entscheidung der Frage der Gemeingefähr-
lichkeit betraut werden. Berichterstatter: Prof. Dr. Heim-
berger.
Neue Gesetze, Verordnungen u. dgl.
Die in []-Klammern in Kursivschrift beigefügten Daten bezeichnen
den Zeitpunkt des Jnkratttretens der Gesetze usw.
Deutsches Reich: Tabakzollordnung v. 14. 12.
1912 [1. 3. 1913, (Z.-B. S. 867). - Rkzlr.-Bk. v. 11. 12.
1912, bt. d. Verfahren v. d. kais. Aufsichtsamte f.