8.4.2.
Die Feuerbestattung in Bayern
8.4.3.
Zu Köstlins 100. Geburtstage
(Prof. Dr. Landsberg)
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XVIII. Jahr g. Deutsche J u r i s t e n - Z e i t u n g. 1913 Nr. 2.
richtige Vorstellung machen kann. Trotzdem besteht aber
•doch das Gefühl der Zusammengehörigkeit und das Ver-
ständnis für die gemeinsamen Interessen. Das Reich hält
fest und stark zusammen.
Die kriegerischen Ereignisse in den Balkanstaaten
und die Moratorien beunruhigten unsere Handels- und
Geschäftswelt durch die Rechtsunsicherheit, die mangels
gesetzlicher Bestimmungen über das Schicksal der an Balkan-
plätzen zahlbaren Wechsel besteht, die nicht rechtzeitig
präsentiert und protestiert werden können. Die Banken
gaben die Wechsel zurück und weigerten sich, neue zu
nehmen. Mit erfreulicher Raschheit hat hier die Legislative
Abhilfe geschaffen, indem durch das Gesetz v. 30. Nov.
1912 über den Einfluß der höheren Gewalt auf
die Vornahme wechselrechtlicher Handlungen die
Bestimmungen des Artikels 53 der auf der Haager Konferenz
vereinbarten einheitlichen Wechselordnung sofort mit Wir-
kung für alle nach dem 11. Nov. fällig gewordenen Wechsel
in Kraft gesetzt wurden.
In Ungarn ist ein gleiches Gesetz zustande gekommen.
Unmittelbar durch die äußere Lage veranlaßt sind drei
Vorlagen über die Gewährung von Unterhaltsbeiträgen an
die Angehörigen der Mobilisierten, über die Stellung von Pfer-
den und Fuhrwerken und über die Kriegsleistungen. Das
letzterwähnteGesetz begegnete anfangs im Abgeordnetenhause
großen Bedenken, weil man besorgte, daß die weitgehenden
Befugnisse, die man dem auf das Notrecht angewiesenen Staate
zu Zeiten der Kriegsgefahr ohne weiteres zugesteht, auch in
Zeiten Anwendung finden könnten, in denen es sich nicht um
den Schutz gegen äußere Feinde handelt. Darüber wurde durch
eine Aenderung der Fassung Beruhigung geboten und das
Gesetz (wie in Ungarn) schließlich verabschiedet.
Das Herrenhaus hat in einer glänzend geführten»
eindrucksvollen Debatte zu den Beschlüssen des Abge-
ordnetenhauses über die Dienstpragmatik der staat-
lichen Beamten Stellung genommen. Die Redner aller
Gruppen des Oberhauses traten mit Nachdruck der Auf-
fassung entgegen, als ob das Staatsdienstverhältnis
mit einem Arbeitsvertrage in Parallele gestellt werden
könnte. Das Primäre beim Staatsbeamtenverhältnis sei die
Pflicht und die Treue zum Staate. Staatsbürgerliche Rechte
können den Beamten nur insoweit zustehen, als sie den
besonderen Standespflichten nicht widersprechen. Eine
gegen den Staat oder die Vorgesetzten der Beamten
gerichtete Koalition wurde als absolut unzulässig zurück-
gewiesen und die passive Resistenz durch das vom Prof,
von Philipovich geprägte Wort „verlogener Streik“
scharf charakterisiert. Das Herrenhaus hat nicht nur die
von der Regierung geforderten Bestimmungen gegen
passive Resistenz und syndikalistische Bestrebungen wieder
hergestellt, sondern sie noch schärfer gefaßt. Das Abge-
ordnetenhaus hat, um das Zustandekommen des Gesetzes
(Mehraufwand 30 Millionen K. jährlich) nicht zu gefährden,
den Beschlüssen des Herrenhauses, wenn auch unwillig,
schließlich zugestimmt. Es wird nun allgemein erwartet,
daß demnächst durch Bewilligung einer Erhöhung der
Personaleinkommensteuer, dann einer neuen Steuer auf
Tantiemen der Verwaltungsräte sowie einer Erhöhung der
Branntweinsteuer die finanziellen Voraussetzungen für die
Einführung der Dienstpragmatik beschafft werden.
Die Novelle zum allg. bürgerlichen Gesetz-
buch wurde im Herrenhause angenommen. Die Debatte
drehte sich nur um die Reform des Eherechts, auf
die sich die Novelle nicht erstreckt, weil die politischen
Voraussetzungen dafür nicht voi liegen. Das bestätigte
neuerlich die Verhandlung im Herrenhause, indem die
Vertreter der Mehrheit entschieden die Reform und die
Einführung der obligatorischen Zivilehe ablehnten.
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Die innerpolitische Lage hat sich gebessert, so daß
man jetzt auch wieder den Versuch machen will, die Ver-
handlungen, die zum böhmischen Ausgleich führen
sollen, zu einem guten Ende zu bringen. Es wäre die
schönste Gabe, die uns ein gütiges Geschick im neuen
Jahre bescheren möge!
Die Feuerbestattung in Bayern. Diese bereits
S. 1517, 1912 d. Bl. behandelte Frage ist nunmehr in
Bayern durch die Oberpolizeilichen Vorschriften v. 28. Dez.
1912 geregelt worden. Bisher war es bestritten, ob in
Bayern auf Grund des Art. 61 Abs. 1 Nr. 3 Polizeistraf-
gesetzbuchs eine polizeiliche Regelung der Feuerbestattung
erfolgen könne und ob der Begriff „Beerdigung“ in dieser
landesrechtlichen Vorschrift auch die Feuerbestattung um-
fasse. Nun hat der Verwaltungsgerichtshof in seinen
Entsch. v. 20. Dez. 1911 und 13. Nov. 1912 ausgesprochen,
in Bayern bestehe kein gesetzliches Verbot, eine Ein-
äscherungsstätte zu errichten, und die Gründung und der
Betrieb einer Einäscherungsstätte durch eine Gemeinde
bedürften nicht der staatsaufsichtlichen Genehmigung. In-
folgedessen war eine das ganze Land umfassende schleunige
Regelung der Feuerbestattung aus gesundheitspolizeilichen
und kriminellen Rücksichten notwendig geworden. Die
Staatsregierung, die sich bei der Zweifelhaftigkeit der
Frage früher auf einen verneinenden Standpunkt gestellt
hatte, trat deshalb neuerdings der Prüfung der Frage näher,
ob nicht das PolStrGB. schon in seiner derzeitigen Fassung
die Handhabe zu einer solchen Regelung biete. Ein auf
ihre Veranlassung erstattetes Gutachten des Strafsenats des
Obersten Landesgerichts kam zu dem Schlüsse, daß auf
Grund des Art. 61 Abs. 1 Nr. 3 PolStrGB. Oberpolizei-
liche Vorschriften über Zeit, Ort und Art der Leichen-
verbrennung erlassen werden können. Die nunmehr auf
Grund des Art. 61 Abs. 1 Nr. 3 erlassenen Oberpolizei-
lichen Vorschriften des Staatsministeriums des Innern über
die Feuerbestattung v. 28. Dez. 1912 und die Vollzugsbek.
hierzu vom gleichen Tage lehnen sich an das preußische
Gesetz v. 14. Sept. 1911 über die Feuerbestattung und an
die Ausführungsanweisung zu diesem Gesetze v. 29. Sept.
1911 an. Soweit sachliche Unterschiede bestehen, sind
sie im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß die
bayerischen Vorschriften auf polizeistrafrechtlicher Grund-
lage beruhen. Der Vollzugsbekanntmachung ist eine An-
weisung für das Verfahren beigegeben, das bei der amts-
ärztlichen Leichenbesichtigung und bei der Ausstellung
der amtsärztlichen Bescheinigung für die Feuerbestattung
einzuhalten ist.
Zu Köstlins ioo. Geburtstage. Christian Rein-
hold Köstlin, geh. zu Tübingen am 29. Jan. 18131),
Lehrer des Strafrechts dortselbst von 1839 bis zu seinem
Tode (14. Sept. 1856), verdient wohl auch heute noch
ein Wort der Erinnerung. Zwar seine Dichtungen dürften
mit Recht verschollen sein, die meisten seiner juristischen
Schriften durch Hegel’sche Terminologie und Philosophie
dem heutigen Leser schwer zugänglich; aber der Gedanken-
Bestand, den er jener Philosophie abzugewinnen ver-
standen hat, behält noch immer für uns eine gewisse
Bedeutung, ist sogar noch lebendig für unsere Strafrechts-
wissenschaft und Strafrechtsanwendung in einer doppelten
Richtung. Einerseits objektiv, insofern nämlich Köstlin
die überragend mächtige, prophetisch vorgreifende Staats-
Auffassung Hegels zuerst auf das Strafrecht übertragen,
1) So das aktenmäßig xichtige Datum; irrig Klüpfel i. d. All-
gem. deutschen Biographie 16, 759, und danach Landsberg in
Gesch. d. D. Rechtswissensch. 3, 2, Noten 290.