Full text: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Germanistische Abteilung (Bd. 6 (1885))

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Wilhelm Sickel,

1. Der Thunginus.
Das Verhältniss des altsalischen Gerichts zum Schöffen-
gericht müsste verkannt werden, wenn wir die Stellung des
Thunginus unrichtig fassen oder ungenügend würdigen. Wir sind
wohl im Stande, das Recht oder die Pflicht dieses Beamten aus
einzelnen theils positiven theils negativen Aeusserungen mit un-
gefährer Deutlichkeit zu entnehmen. Soweit wir sehen, handelt
er da, wo er handelt, selbständig ohne Gemeindeact. Er ist
es, der nach Lex Salica 44,1. 46, 1. 2 einen Gerichtstag an-
sagt, den zu besuchen die Dingleute verpflichtet sind, aber
ist er es auch, der die Erfüllung der Gemeindepflicht er-
zwingt? Wir wissen es nicht. Wir würden es auch nicht
dadurch erfahren, wenn wir ermittelten, dass das ferbannire
der anwesenden Zeugen ein amtliches Zwangsrecht und nicht
eine Parteihandlung bedeuten sollte,1) denn eine derartige
Befugniss kann entstanden sein, ehe der Thunginus und selbst
ohne dass er später das Recht erwarb, die Dingpflichtigen zu
bannen. Der Thunginus ist es ferner, der auf Begehren der
Partei sein Nexticantichio spricht, das den Antragsteller be-
rechtigte, zur Auspfändung seines Schuldners zu schreiten,
ein Ausspruch, der zwar vor dem Gerichtsvolk geschieht, aber
ohne dass ein dahin gehender Beschluss der Versammlung
erfolgte.2) So tritt der Gerichts Vorstand in ein rechtliches
Verhältniss sowohl zu den Dingleuten als zu den Parteien,
jedoch sobald es sich um ein Urtheil handelt, hört seine
Wirksamkeit auf. Nicht er, sondern die Partei wendet sich
an die Rechtsprecher; diese sind es, welche der Partei un-
mittelbar Antwort geben, und auch aus dem Rechtssatz, nach
') Für das Bannrecht Brunner, Zeugen 1866 8. 133, dawider Sohin,
Zeitschrift für Rechtsgeschichte V, 416 f., Process 1867 8.147. 152. 154,
anders jedoch Gerichtsverfassung 1,100. Ausser in der Lex Salica 49,3
kommt das Wort ferrebannire auch in dem Edict Ghilperichs c. 8 S. 9
Boretius vor, wo es auf das obrigkeitliche Zwangsrecht des Grafen zu
gehen scheint. Es nöthigt wohl nichts an beiden Stellen eine gleich-
artige Handlung anzunehmen. — Ob die amtliche Gerichtshegung, die
dem Thunginus gemäss der nach Lex Salica 44 entworfenen lango-
bardischen Notariatsformel des elften Jahrhunderts, Leges IV, 599,16,
zusteht, in die Zeit des Volksgerichts hinauf reicht, muss dahingestellt
bleiben. — *) Lex Salica 50,2 und Capitulare I c. 10 8. 91 fg. in Behrends
Ausgabe des Gesetzes.

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