Literatur.
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Mur darum konnte es sich also in diesem Punkte handeln, daß Caros
Entlarvung des vermeintlichen Churer Einkünfterodels aus dem 11.
oder 12. Jahrhundert als karolingisches Reichsgutsurbar su einer Nach-
prüfung und Vertiefong meiner Forschung verwendet wurde, wie ich
sie gleichzeitig in der obengenannten Studie selbst auch unternommen
habe. Daß Casparis, weil er, statt in das Problem ordentlich einsu-
eteigen, etwas äußerlich verfuhr1) und in der Regel ein langes, z.T.
wörtliches Referat brachte, um hinterher die rätischen Dinge nur kurz
anzureihen, im ersten Teil der Arbeit nicht selten an der Oberfläche ge-
blieben ist, daß er also lange nicht alles herausgeholt hat, was sich
über das Eigenkirchenrecht und im Zusammenhang mit der divisio
über die älteste Yer&ssungsgeschichte von Churrätien herausholen
läßt, wird man dem Anfänger nicht zum Vorwurf machen können.
Erkennen wir lieber ein gewisses schriftstellerisches Geschick bei ihm
an, und Reuen wir uns, daß er in dem, was er erreicht hat, durchaus,
wenn auch nicht immer mit aller Schärfe, mit den von uns gewon-
nenen Ergebnissen übereinstimmt.1) An Originalität und selbständiger
Beobachtung wird seine Arbeit freilich von den älteren Schriften von
Tuor und Mutzner erheblich übertroffen, so manches die letztere an
Sicherheit der Methode zu wünschen übrig läßt. Am nützlichsten
dürfte sich für die künftige Forschung der zweite Teil erweisen über
die Churer bischöfliche Grundherrschaft in der Feudalzeit. Auch hier
haben freilich ältere Arbeiten, insbesondere von Planta und Tuor,
weit mehr vorgearbeitet, ab der in der rätischen Geschichtsliteratur
nicht selbständig bewanderte Leser dieser neuesten Schrift anzunehmen
geneigt sein wird. Aber für diesen Teil floß das Material weit reich-
licher, so daß die bloßen Lesefrüchte etwas mehr zurücktreten, und für
ihn hat Casparis Archivalien benutzt. Nach einem historischen Über-
blick gibt er zunächst eine Darstellung der Grundherrschaft als Grundlage
des bischöflichen Feudalstaates, behandelt er dann die Leiheformen
sowie die Verwaltung und wirtschaftliche Organisation, die BevOlke-
rungsklassen, Recht und Gericht, die Patronate und den Verfall der
bischöflichen Herrschaft. Die Schrift ist jedenfalls zur ersten Orien-
tierung ganz geeignet und zeugt von großem Fleiß und Interesse.
Eine sehr willkommene Überraschung bringen dem Forscher wie
auf dem Gebiete der rätischen Geschichte überhaupt so namentlich
auf dem der rätischen Rechts- und Wirtschaftsgeschichte die Pfä-
verser Rodel, die von Gmür, nachdem sie bisher kaum beachtet
*) Aus der kompibtorischeu Art der Arbeit ist z. B. das Versehen
8. 7 zu erklären: „In der Teilung des fränkischen Reiches nach Karls des
Großen Tod (im Jahre 806)*. Siehe auch 8. 10 über Immunität und In-
quisitionsprivileg sowie 8.88 (mit Stutz, Eigenkirohe 8. 16f. und Bene-
fizialwesen I 8.162 Anm. 50) über die Kirche von Remüs und zu beiden
jetzt Stutz, Churer divisio 8. 112 (14) mit 126 (28) nebst Anm. 2 und
8. 143 (46) Anm. 2. — *) Allerdings sind durch Vermittlung eines Dritten
dem Verfasser bereits im Juli 1909 einige Korrekturbogen meiner Churer
Schrift zugegangen. Doch versichert er und bestätigt der Herausgeber der
Sammlung, daß eine Benutzung derselben nicht stattgefunden hat.