Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältniffe.
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Auf dem Wege des Verf. liegt eine große Zahl bedeutsamer
Fragen, deren Lösung in gedrängter Kürze, aber überall mit vollendeter
Beherrschung des gesetzgeberischen Materials und der Literatur versucht
wird. Nicht selten wendet sich der Verf. gegen die herschende Meinung.
Daß es ihm immer gelungen sei, eine einwandsfreie Lösung zu finden,
möchten wir bezweifeln.
1. So können wir ihm schon darin nicht folgen, daß Gegenstand
von Schuldverhältnissen nur erzwingbare Leistungen sein könnten. Mit
Recht zwar wird ausgeführt, daß ein bloßes Leistensollen des Schuldners
zur Annahme eines aus die Leistung gerichteten Schuldverhältnisses
nicht ausreicht, wo nach dem Inhalte der Obligation eine zwangsweise
Herbeiführung der Leistung ausgeschlossen ist. Der Mäkler soll Be-
mühungen zum Zustandekommen eines Vertrags aufwenden, aber er
schuldet diese Bemühungen nicht, da er nur der versprochenen Be-
lohnung verlustig geht, wenn er sie unterläßt. Ebenso kann eine Ver-
tragsstrafe als Reugeld für ein Verhalten des Schuldners verabredet
werden, das keine Verletzung einer Vertragspflicht enthält (vgl. § 3432
BGB.). Unter den gleichen Gesichtspunkt bringt nun aber der Vers.,
u. E. mit Unrecht, auch diejenigen Fälle, wo in Vertragsverhältniffen
aus dem Zuwiderhandeln des Schuldners nur ein Schadensersatzanspruch
entspringt (38 ff.). Beispielsweise hat der Mieter nach § 545 BGB.
dem Vermieter von eintretenden Mängeln der gemieteten Sache unver-
züglich Anzeige zu machen bei Vermeidung des Schadensersatzes; eine
Klage und ein Zwang auf Leistung der Anzeige ist — sehr begreif-
licher Weise — ausgeschlossen. Andere Beispiele finden sich in den
§§ 663, 665 Satz 2, 692 Satz 2 BGB. Hier soll nach dem Verf.
überall nur eine durch Nichtanzeige bedingte Verpflichtung zum Schadens-
ersätze, nicht aber eine Verpflichtung zur Anzeige vorliegen. Besonders
auffällig ist das Ergebnis, zu dem der Verf. von hier aus in Ansehung
der Verpflichtung aus einem Dienstvertrage gelangt. Daß dieser eine
Verpflichtung zur Leistung der Dienste und nicht bloß eine durch
Nichtleistung der Dienste bedingte Forderung auf das Interesse be-
gründet, kann angesichts des §611 BGB. nicht zweifelhaft sein. Da
aber der § 888- ZPO. (neue Fassung) bei Verurteilungen zur Leistung
von Diensten aus einem Dienstvertrage den darauf gerichteten Zwang
(Geldstrafen und Haft) für nicht anwendbar erklärt, so soll dadurch der
im BGB. als klag- und vollstreckbar gemeinten Verpflichtung diese
Eigenschaft nachträglich entzogen sein und nur eine Verpflichtung zur
Gewährleistung wegen unterbliebener Arbeit übrig bleiben, — aller-
bings mit der Maßgabe, daß der Gläubiger trotz § 613 Satz 1 BGB.
die Dienste stets als vertretbar behandeln und sich nach ß 887 ZPO.
auf Kosten des Schuldners zwangsweise verschaffen könne (41, 42, 163)
Einen Widerspruch zwischen § 888 2 ZPO. und §611 BGB!
vermögen wlr nicht anzuerkennen. Es scheint ganz übersehen zu sein
daß § 888 2 ZPO. von der „Verurteilung zur Leistung von Diensten"
sprrcht und damtt sich dem BGB., das die Dienste selbst als geschuldet
ansieht, anpaßt. Wären sie nicht geschuldet, so könnte keine Verurteilung
Beiträge, 50. Jahrg. 1. Heft. j j