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Einzelne Rechtsfälle.
Gründe:
Kläger, welcher gegen den Beklagten im Wechselprozeffe Klage
erhoben und in erster Instanz ein obsiegendes Urteil erlangt hat,
übergab in dem weiteren ordentlichen Verfahren vor dem Land-
gericht in der mündlichen Verhandlung vom 8. April 1905 die Ur-
schriften der eingeklagten Wechsel. Nachdem gegen das im Wechsel-
prozeß ergangene Urteil Berufung eingelegt war, wurden in der
mündlichen Verhandlung vor dem Kammergerichte vom 15. Mai
1905 diese Wechsel vorgelegt. Der Vertreter des Klägers bean-
tragte, dieselben an ihn herauszugeben. Der Vertreter des Beklagten
trat diesem Antrag entgegen. Das Oberlandesgericht erließ und
der Vorsitzende verkündete den Gerichtsbeschluß: Der Antrag auf
Herausgabe der Originalwechsel wird abgelehnt.
Gegen diesen Beschluß beschwert sich der Kläger und bittet,
seinem Anträge stattzugeben. Das Kammergericht hat die Beschwerde
mit den Akten dem Reichsgerichte vorgelegt. In den Akten ist ver-
merkt, daß sich der Senat für befugt erachte, die Klagewechsel bis
zur Erledigung des Rechtsstreits bei den Akten zurückzuhalten, und
sich deshalb nicht veranlaßt sehe, der Beschwerde abzuhelfen.
Die Beschwerde erscheint begründet. Eine Befugnis des Ge-
richts, Originalurkunden, welche von den Parteien in der münd-
lichen Verhandlung vorgelegt und auch zu den Gerichtsakten über-
geben wurden, ohne irgendwelchen rechtfertigenden Grund auf un-
bestimmte Zeit zurückzubehalten, besteht nach der Prozeßordnung
nicht. Vielmehr ergeben die Vorschriften derselben, daß die Zurück-
behaltung nur innerhalb gewisser Schranken zulässig ist. Nach § 443
ZPO. werden Urkunden, deren Echtheit bestritten ist oder deren
Inhalt verändert sein soll, bis zur Erledigung des Rechtsstreits auf
der Gerichtsschreiberei verwahrt, sofern nicht ihre Auslieferung an
eine andere Behörde im Interesse der öffentlichen Ordnung erforder-
lich ist. Dafür, daß die Voraussetzungen dieser Gesetzesvorschrift
vorliegen, fehlt es an jedem Anhalte. Nach § 142 Abs. 2 a. a. O.
kann das Gericht anordnen, daß die vorgelegten Schriftstücke binnen
einer vom Gerichte zu bestimmenden Zeit auf der Gerichtsschreiberei
verbleiben. Von dieser Befugnis hätte das Kammergericht Gebrauch
machen können, hat es jedoch nicht getan, sondern hat ohne jede
zeitliche Beschränkung den Antrag auf Herausgabe der Urkunden
abgelehnt. Der Antragsteller hatte aber, falls das Gericht die zeit-
weise Zurückbehaltung der Urkunden für erforderlich hielt, ein Recht