Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 46 (1902))

12.11. Gradenwitz, Anfechtung und Reurecht beim Irrthum

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Literatur.

66.
Anfechtung und Ucurecht beim Irrthum. Von Dr. Otto Gradenwitz,
Professor der Rechte in Königsberg. Berlin 1902. Carl ^eymanns
Verlag. (Geh. M. 2,—.)
Der Vers, findet es unbillig, daß, wenn ein Vertrag wegen Irr-
thums des einen Theiles angefochten wird, der andere Theil, "der
den Vertrag so, wie ihn der Irrende gewollt hat, halten will," den
Irrenden nicht au diesem Vertrage soll sesthalten können. Er sagt sich,
daß die Unbilligkeit sreilich schon dadurch eingeengt ist, daß die An-
fechtung nur unverzüglich stattfinden darf, daß sie den Irrenden mit
dem negativen Vertragsinteresse belastet, und daß sie nur stattsinden
darf, wenn anzunehmen ist, daß der Erklärende bei Kenntniß der Sachlage
und bei verständiger Würdigung des Falles die Erklärung nicht abgegeben
haben würde. Ueber die Bedeutung der letzteren Vorschrift macht der
Verfasser im § 10 S. 42 eingehende und feine Bemerkungen. Aber die
Einengung genügt dem Vers, nicht, um die mißbräuchliche Anwendung
der Form der Anfechtung zum Zwecke eines wirklich nur gewollten
Reurechts auszuschließen. Und darum will er dem Anfechtungsgegner
die Macht geben, den Anfechtenden an dem, was er in seiner Er-
klärung wirklich gewollt hat, festzuhalten, er sucht nach Wegen, die
das Gesetz dafür eröffne, und glaubt sie in einer analogen Heran-
ziehung der Grundsätze über die Einwirkung von Treu und Glauben
unter Berücksichtigung einer Parallele von Anfechtung und auflösender
Bedingung zu gewinnen. Ich glaube nicht, daß die Praxis die Be-
weisführung des Verf. als schlüssig anerkennen wird, und das
ganze Problem scheint mir in seiner Tragweite überschätzt zu werden.
Der Verf. berücksichtigt nicht, daß der Anfechtende auf Grund der
durch seine Anfechtung herbeigeführten Nichtigkeit des Geschäfts und da
er den anderen Theil an das von ihm Gewollte nicht binden kann, sich
wegen dessen, was er durch den Vertrag erreichen wollte, schleunigst ent-
scheiden muß und vielfach schnell anderweit binden wird, und daß es danach
hohe Unbilligkeit wäre, eine Billigkeit dahin walten zu lassen, daß der
andere Theil ihn nachträglich an das ursprünglich von ihm Gewollte
bmden könnte. Zum Theil scheint mir der Verf. auch die Sätze von
Irrthum auf Fälle anzuwenden, auf die sie nicht passen. Ist nur mit
falscher Bezeichnung der erkennbar gewollte Gegenstand benannt, so gilt
das gewollte Geschäft, weil kein Zrrthum vorliegt; dem im Testament
Ortlepp genannten Lebensretter Ortlieb wird von keinem Richter das
Vermächtniß (S. 64) versagt werden, und kein Richter wird zögern,
das der deutschen Vorleserin bestimmte Vermächtniß des (griechischen)
Platon von dem im Nachlasse vorhandenen deutschen Platen zu verstehen
(S. 65); und ebenso wird bei Uebereinstimmung der Vertragschließenden
über den Gegenstand des Vertrags die falsche Benennung desselben
durch einen der beiden die Anfechtung wegen Jrrthums nicht ermög-
lichen. Auf jeden Fall enthält das Werkchen eine erhebliche Fahl
feiner und anregender Bemerkungen und kann deshalb den Lesern em-
pfohlen werden. Eccius

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