Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 49 (1905))

Manczka, Der Rechtsgrund des Schadensersatzes rc. 691
Stellungnahme zu dieser Frage nicht entziehen. Eine seiner Kollisions-
normen lautet nämlich: „Wer die letzte Ursache zu einer Verletzung
eines anderen gesetzt hat, haftet nicht, wenn diese Ursache nicht die
juristisch maßgebende Ursache der Verletzung ist". Der Vers, unter-
scheidet also die juristisch maßgebenden Ursachen von den juristisch nicht
in Betracht kommenden und macht davon unter anderem eine Anwen-
dung bei der Notwehr; hier soll Ursache der dem Angreifer zugefügten
Verletzung sowohl das Verhalten des Angreifers, als das des Ange-
griffenen sein, ersteres aber sei das juristisch maßgebende, weshalb der
Angreifer Ersatz nicht verlangen könne. Daß hier ein sehr weit aus-
gedehnter Begriff des Kausalnexus zugrunde liegt, ist klar. Zeder, der
irgendwie, bewußt oder unbewußt, auf die Handlungen eines anderen
einwirkt, würde zum Miturheber der Folgen dieser Handlungen werden;
ob er dafür verantwortlich ist, würde sich verschieden gestalten, je nach-
dem diese Urheberschaft juristisch in Betracht kommt oder nicht. Sollte
hier nicht eine Verwechselung von Veranlassung und Verursachung vor-
liegen?
Ebensowenig, wie die Frage des Kausalnexus, lag in den Grenzen,
die sich der Verf. gesteckt hat, eine Beantwortung der Frage, welche
Interessen schutzwürdig, welche schutzunwürdig oder unrechtmäßig, welche
unter den schutzwürdigen Interessen die höheren und welche die minderen
seien. Seine Kollisionsnormen sind abstrakte Formeln, unabhängig von
der jeweiligen Wertung der konkreten Interessen, die verschieden sein
kann, ohne daß die Normen eine Änderung erleiden. Die Wertung
der Interessen aber geschieht durch die Gesetzgebung, das heißt, wie der
Verf. im 24. Abschnitt ausführt, durch die herrschende Klasse nach ihrem
Bedürfnisse. Muß es denn immer eine herrschende und eine beherrschte
Klasse geben?
Man wird dem Verf. zugeben müssen, daß, obwohl es einen ab-
soluten Maß stab für die Wertung der Interessen nicht gibt, doch aus
der Betrachtung der menschlichen Gesellschaft mit ihren Bedürfnissen und
Jnteressenkollisionen sich allgemein gültige Wahrheiten gewinnen lassen,
die für die Schadensersatzpflicht, d. i. für die Frage, wann ein einmal
eingetretener Schaden von dem Verletzten auf einen anderen übertragen
werden muß, bestimmend sind. Diese Wahrheiten behaupten ihre
Geltung, auch wenn ihre Anwendung zu einem verschiedenen Ergebnisie
führt, je nachdem das eine oder das andere Interesse höher bewertet
wird. Auch der Weg, den der Verf. einschlägt, um zu jenen Wahr-
heiten zu gelangen, dürfte der richtige sein. Trotz mancher Bedenken
im einzelnen meinen wir, daß der Verf. durch seinen, mit vielem Scharf-
sinn angestellten Versuch die noch sehr der Klärung bedürfende Lehre
vom Schadensersatz ein gutes Stück gefördert hat. H. Boethke.

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