Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 17 = N.F. Jg. 2 (1873))

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Die Entscheidung der Sache hängt von Beantwortung der Frage ab,
ob der Kläger berechtigt war, den Eid mit bedecktem Haupte zu leisten?
Die Frage muß verneint werden.
Das Gesetz, betreffend die Eide der Juden vom 15. März 1869,
bestimmt in seinem § 4:
„Die für die Eidesleistung der Juden eingeführten sonstigen be-
sonderen Förmlichkeiten und Vorschriften werden aufgehoben."
Wenn die Juden bei Eidesleistungen besondere Förmlichkeiten be-
obachtet haben, so sind diese für die Eidesleistung in der bürgerlichen
Gesellschaft, im Staatsverbande aufgehoben; namentlich findet aber die
Bedeckung des Hauptes nicht ferner statt.
Es greift die für alle Staatsangehörige ohne Unterschied des
religiösen Bekenntnisses gegebene Vorschrift nunmehr auch gegen die
Juden Platz.
Der Schwörende muß den Eid mit nachgcsprochenen Worten
und in der nach dem Gerichtsgebrauch üblichen Stellung ableisten.
Diese den Gerichtsgebrauch berücksichtigende Stellung, Haltung bei
der Eidesleistung, zu der im weiteren Sinne auch die Bedeckung des
Kopfes gerechnet werden muß, darf nicht dahin führen, äußere Unter-
schiede nach dem religiösen Bekenntnisse wiederum einzuführen, deren
Beseitigung im Zwecke des Gesetzes vom 15. März 1869 lag.
Die Aufhebung der
für die Eidesleistung der Juden eingeführten sonstigen besonderen
Förmlichkeiten,
wozu auch die durch Brauch eingeführten besonderen Förmlichkeiten ge-
hören, macht es dem Richter unmöglich, dem Einzelnen zu gestatten,
die allgemein ausgehobene Förmlichkeit für den Einzelnfall wiederum
anzuwenden.
Ein solches Zugeständniß wäre (abgesehen von der durch § 1 des
Gesetzes vorgeschriebenen Form der Eidesfassung und der Haltung der
Hand bei der Eidesleistung) geeignet, das Gesetz in seiner Wirkung
wiederum aufzuheben.
Allerdings hat bei Berathung des Gesetzes die Justizkommission
des Abgeordnetenhauses (wie Koch, Commentar zur A. G.--O. 6. Aust.
S. 341, berichtet) angenommen, daß der Richter demjenigen, der sich
in seinem Gewissen gedrängt fühle, beim Schwur den Kopf zu bedecken,
eine in dieser Beziehung verständige Nachsicht werde zu Theil
werden lassen.
Es ist jedoch der hier von der Justizkommission angenommene
Standpunkt nicht der richtige. Keineswegs handelt es sich um eine vom

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