Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 16 = N.F. Jg. 1 (1872))

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sich der Verfasier als tüchtiger Kenner des Römischen Rechts und der modernen
Literatur und Gesetzgebung, sowie als scharfsinniger Kritiker. Literarische
Nachweise hat der Verfasser grundsätzlich vermieden; er beschränkt sich darauf,
die Meinung selbst anzuführen, zu billigen oder zu verwerfen, ohne mitunter
den Autor näher zu bezeichnen oder das Werk oder die Zeitschrift zu nennen,
wo die bekämpfte oder gebilligte Ansicht ihren Ausdruck gefunden. Mit den
Ergebnissen, zu denen der Verfasser gelangt ist, wird man sich zumeist be-
freunden können. Auch da, wo dies nicht der Fall ist, erscheinen die von
demselben angeführten Gründe beachtenswerth.
Es sei nun gestattet, eine kurze Uebersicht des Inhaltes der Monographie
zu geben:
Im Abschnitt I bestimmt der Verfasier das Verhältniß zwischen Ersitzung
und Verjährung. Abweichend von der herrschenden gemeinrechtlichen Doktrin
verficht derselbe die im preußischen Landrechte und im allgem. bürgerlichen
Gesetzbuche zur Geltung gelangte Auffassung, daß die Ersitzung nicht bloß
rechtserzeugend, sondern zugleich rechtsvernichtend sei.
Abschnitt II behandelt den Unterschied zwischen der ordentlichen und außer-
ordentlichen Ersitzung, Abschn. III die Erfordernisse der Ersitzung überhaupt,
Abschn. IV die Redlichkeit des Besitzers. Hier kehrt sich der Verfasser —
und gewiß mit Recht — gegen die Ansicht Unger's, daß der Besitz selbst
dann redlich sei, wenn sich der Besitzer in einem unentschuldbaren Jrr-
thum befunden habe.
Mit gutem Grund weist der Verfasier daraus hin, daß wohl einerseits
nach tz 320 A. B. G. B. sogar die Unkenntniß des Gesetzes die bona fides
nicht ausschließe, daß aber anderseits als unredlicher Besitzer nur derjenige
gelte, der weiß oder aus den Umständen vermuthen muß, daß die Sache
einem Anderen gehöre. Diese Auffassung bestätigt auch der § 368 des
A. B. G. B. Demgemäß hänge die Redlichkeit des Besitzers von zwei Um-
ständen ab, einerseits davon, daß sich der Besitzer des in dem Besitze liegen-
den Unrechtes nicht bewußt sei, sodann daß dem Besitzer nicht solche Um-
stände bekannt sind, aus welchen er sich hätte die Ueberzeugung verschaffen
können, daß er durch den Besitz ein Unrecht begehe.
Instruktiv sind die Ausführungen des Vers, über die Redlichkeit des
Besitzes im Falle der Stellvertretung, S. 15—33. Es wird nachgewiesen,
daß nach österreichischem Rechte (anders als nach röm. Rechte) die Ersitzung
nicht nur begonnen, sondern auch vollendet werden kann, ehe der Besitzer
von der für ihn geschehenen Besitzerwerbung Wissenschaft erhält, und daß es
in diesem Falle lediglich auf den guten Glauben des Vertreters ankommt.
Die Annahme eines sogen, „indifferenten" Besitzes wird mit Recht verworfen.
Dasselbe Prinzip gelte, wenn der Vertretene willensunfähig und selbst dann,
wenn er zwar willensfähig aber nicht vollständig handlungsfähig sei. Die
bekanntlich sehr controverse Frage, wann der Besitz juristischer Personen als
redlich oder unredlich angesehen werden könne, beantwortet der Verfasser dahin,
daß der Besitz derselben redlich sei, wenn 1) die Mehrzahl der Vertreter,
durch welche der Besitz faktisch erworben wird, dona fide sei und 2) über-
dies auch die Mehrzahl der Repräsentanten der juristischen Person über-
haupt im guten Glauben gewesen sei (S. 29, 30).
In den Abschnitten VI und VII bespricht der Verfasser die Rechtmäßigkeit

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