Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 16 = N.F. Jg. 1 (1872))

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der Richter bei Anwendung eines veralteten, den Verkehrsbedürfnissen
und herrschenden Anschauungen nicht entsprechenden bürgerlichen Ge-
setzes auf dem Wege der Interpretation das Gesetz mit dem allgemeinen
Rechtsgefühl in Einklang zu bringen sucht, so läßt sich als Rechtfer-
tigung dafür sagen, daß das objektive Recht von dem Volks-Willen und
-Bewußtsein getragen wird, und daß es hart sein würde, dies nicht be-
rücksichtigen zu wollen, wenn die Gesetzgebung hinter der Volksan-
schauung zurückblieb. — Aber, wenn durch freiwillige Vereinbarung ver-
tragsmäßiges Recht geschaffen wird, wie man da, wenn der Vertrag
zur Ausführung kommen soll, von Härten reden kann, ist nicht wohl
verständlich. So gut wie der Darlehnsempfänger die Rückzahlung von
seinem Belieben abhängig machen kann, wenn der Geber damit einver-
standen ist, so gut kann Letzterer die Einziehung von seinem Belieben
abhängig machen, wenn Jener darin willigt. — Ein Vertrag, der die
Erfüllung oder die Aufhebung desselben in das Belieben des einen
Vertragsschließenden stellt, wird dadurch, wie ein Appellalionsrichter in
einem weiter unten zu besprechenden Fall gegentheilig ausführt, noch
nicht hart; und wenn eine solche Bestimmung in der Ausführung hart
würde, so bleibt es zwar dem Berechtigten überlassen, nachzugeben,
keineswegs aber wird dem Richter die Befugniß gegeben, die Verein-
barung wegen vermeintlicher Härte für ungültig zu erklären.
Nach meiner Erfahrung giebt aber auch das Verhalten der Versiche-
rungsgesellschaften im Allgemeinen zu derartigen Erwägungen keinen Anlaß.
Ich habe sowohl als Untersuchungsrichter als auch als Proceßrichter
häufig Gelegenheit gehabt, mich mit Versicherungsangelegenheiten zu be-
schäftigen, aber weder gefunden, daß die Versicherer leichtfertig mit De-
nunziationen Vorgehen, noch unbegründete Schwierigkeiten machen, sich
ihren vertragsmäßigen Verbindlichkeiten zu entziehen. Im Gegentheil
habe ich gefunden, daß in den betreffenden Fällen das Verhalten der
Versicherten den gegründetsten Anlaß zur Vorsicht gab, namentlich seitdem
es aufgekommen ist, wegen ganz kleiner Brandschäden, kleiner Brand-
löcher in Gardinen, Decken u. s. w., die es früher keinem Menschen
einfiel, als unter den Verstcherungsfall mit einbegriffen zu betrachten,
Entschädigung zu verlangen. So ist mir noch kürzlich ein Fall vorge-
kommen, in welchem ein sehr wohlsituirter Kaufmann sich nicht scheute,
wegen eines durch grobe Unvorsichtigkeit seiner Frau in einer Tischdecke
gebrannten Loches Entschädigung zu beanspruchen, dies aber später bitter
bereute, als die betreffende Gesellschaft wohlgerechtfertigterweise wegen
fahrlässiger Brandstiftung denunzirte.
Verhielte sich aber auch die Sache umgekehrt, so darf der unparteiische

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