Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 16 = N.F. Jg. 1 (1872))

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In der That werden von der für alle Verträge geltenden Aus-
legungsregel, daß der Wille der Kontrahenten zu erforschen und nicht
an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist, namentlich
unter der Aegide des Art. 278 H. G. B., obwohl derselbe nichts Ab-
weichendes bestimmt, in Rechtsstreitigkeiten über Versicherungen seltsame
Anwendungen gemacht. — So z. B. hatte das Gericht zweiter Instanz
im vorliegenden Fall, nachdem das Gericht erster Instanz den Kläger
mit seiner Brandentschädigungsklage zum größten Theil um deshalb ab-
gewiesen, weil derselbe nach dem Einwande der verklagten Gesellschaft
die versicherten und verbrannten Mobilien zuwider den Vertragsbestim-
mungen aus dem Boden anstatt in der Parterrewohnung des Hauses
aufbewahrt hatte, das erste Erkenntniß nach dem Anträge des Klägers
abgeändert, weil es annahm, daß die allgemeine und richtige Bezeichnung
des Hauses bei Abschluß des Vertrages genüge, und daß die im Ein-
zelnen weiter gehende Angabe des Stockwerkes als unnöthig nickt
schade, auch so weit dieselbe unvollständig oder bona Me nicht ganz
richtig gewesen sei. — In einem anderen Fall hatte die verklagte Ge-
sellschaft um deshalb die Zahlung der Versicherungssumme verweigert,
weil der Klüger zuwider den Vertragsbestimmungen, wonach er das
Schild der Versicherungsgesellschaft über dem Haupteingang des ver-
brannten Hauses bei Verlust aller Ansprüche anzubringen hatte, das
Schild nicht befestigt hatte. In erster Instanz wurde der Kläger ab-
gcwiesen, in den oberen Instanzen aber zu seinen Gunsten das Urtel
abgeändert, weil die Anbringung des Schildes *) ein so unerheblicher
Umstand zu sein scheine, daß die Nichtbeobachtung des Vertrags Seitens
des Klägers in diesem Punkte es nicht rechtfertige, ihn seiner Ansprüche
für verlustig zu erklären. — In einem dritten, noch näher zu erwäh-
nenden Fall hatte der Richter zweiter Instanz den Einwand der Ver-
klagten, daß der Kläger keine Entschädigungsansprüche erheben könne,
weil er der ihm in dem Vertrage bei Verlust seiner Ansprüche auf-
erlegten Pflicht, der Agentur von dem Brande binnen 24 Stunden
nach demselben Anzeige zu machen u. s. w., nicht genügt habe, um des-
halb verworfen, weil die in den allgemeinen Policebedingungen in Betreff
der Anzeigepflicht gegebenen Vorschriften nicht in dem Sinne zu ver-
stehen seien, daß die nackte Thatsache der Versäumniß den angedrohten
Rechtsverlust nach sich ziehe. — In einem vierten Fall hatte anscheinend
aus denselben Gründen ein Gericht den Einwand der verklagten

*) In der Wirklichkeit ist das Schild ein ein sehr wichtiger Gegenstand, es schützt
vor Doppelversicherungen und rachsüchtigen Brandstiftungen.

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