9.6.
Die Deutsche Civil-Prozeß-Ordnung. Betrachtet mit Rücksicht auf den amtlichen Entwurf und auf die Baierische Proceß-Ordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten von Dr. jur. Silberschlag, Stadt- und Kreis-Gerichts-Rath. Berlin 1871. Verlag von J. Guttentag (D. Collin)
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trennt den Süden vom Norden, im Norden aber treten die Gebiete
des Rheins, der Weser, Elbe, Oder und Weichsel mit mehr oder
minderen Abstufungen hervor. Volksthümliche Gesetze wurzeln in
der Culturstufe, der Bildung, den Gewohnheiten des Volks. Wird
nun die neue Proceß-Ordnung der höchsten Culturstufe angepaßt und
anders läßt es sich von den zur Berathung herangezogenen Kräften
nicht erwarten, dann wird es eben auf die übrigen Culturstufen
nicht passen .. .. "
Wir können diese Ansicht durchaus nicht theilen. Sie ist schon vom
Juristentage in Berlin verworfen, als dieser vor mehr als zehn Jahren fast
einstimmig sich für Gemeinsamkeit des Civil-Proceffes für ganz Deutschland
erklärte. Wäre Schwalenberg's Ansicht richtig, so würde es ein Fehler
gewesen sein, daß schon durch das Gesetz vom 3. Januar 1849 das Schwur-
gericht in der ganzen Preußischen Monarchie eingeführt ist; es würde ein
noch größerer Fehler gewesen sein, daß im Jahre 1870 ein gemeinsames
Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich eingeführt ist. Wir hoffen, daß die
Factoren der Deutschen Gesetzgebung dieselbe Energie, durch die sie die Ein-
führung des Deutschen Strafgesetzbuchs bewirkt haben, auch Behufs endlicher
Einführung der Civil-Proceß-Ordnung bethätigen werden. —
Was nun die Ausführungen der „Offenen Briefe" im Einzelnen be-
trifft, so greifen solche eine ganze Anzahl Bestimmungen des neuen Entwurfs
mit großer Schärfe an. Materiell müssen wir manchen der Angriffe Recht
geben. Wir bedauern jedoch, daß der Verfasser der „Offenen Briefe" in
seiner Sprache gegen den Justiz-Minister nicht bloß Freimuth, sondern eine
leidenschaftliche Erregtheit zeigt. Die Sprache ist in vielen Stellen der Broschüre
eine solche, wie sie bisher wohl in aufgeregten politischen Debatten, aber nicht
in der juristischen wissenschaftlichen Preffe üblich war.
vr. jur. Silberschläg.
7.
Die Deutsche Civil-Proceß-Ordnung. Betrachtet mit Rücksicht auf den amtlichen
Entwurf und auf die Baierische Proceß-Ordnung in bürgerlichen Rechts-
streitigkeiten von Or. jur. Silberschlag, Stadt- und Kreis-Gerichts-Rath.
Berlin 1871. Verlag von I. Guttentag (D. Collin). gr. 8. 32 S.
Der Verfaffer dieser kleinen Schrift, der schon seit Jahren in ver-
schiedenen juristischen Zeitschriften sich mit Vorliebe der Beurtheilung der auf
dem Gebiete des Civilprozeffes angestrebten Reformen zugewendet hat, ist von
folgenden Gesichtspunkten ausgegangen:
1. Für das Deutsche Reich ist eine einheitliche Prozeß-Ordnung durch-
aus nothwendig, schon aus politischen Gründen.
2. Der jetzige amtliche Entwurf hat sehr erhebliche Mängel. Er ex-
perimentirt mit der Justiz. — Es ist ein durch Nichts gerecht-
fertigtes Experiment, die Appellation abschaffen zu wollen. Eben.