Ernst Zm. Bekker, Das Recht des Besitzes bei den Römern. 505
auch der bereits verständige pupillus ihn erwerben könne, weil er eben nur
von dem Vorhandensein des corpus und animus abhange (§ 3), daß der
seine Ehefrau beschenkende Ehegatte ihn verliere, weil er eben nicht besitzen
wolle (§ 4). Davon daß der Besitz etwa daS corpus und der animus
selbst oder ein Zustand sei, ist überall keine Rede.
Die beiden Arten der possessio sollen bei Papinian ineinander laufen,
I. 44 pr. de poss.. Richtig ist freilich, daß sich der Jurist einmal des
Ausdmckes „jus possessionis“, das andere Mal des Ausdruckes „possessio“
bedient, aber beide Ausdrücke haben durchgängig denselben Sinn, und die
Wortfassung „jus possessionis“ scheint von Papinian deshalb an die Spitze
gestellt zu sein, um es zum klaren Verständniß zu bringen, daß er nur
die possessio im Rechtssinne im Auge hat. Den Besitz im Rechtssinne
soll ich nicht verlieren, wenn ich einen Schatz, um ihn aufzubewahren, ver-
berge, dabei soll es dann nicht darauf ankommen, ob ich den Ort
vergessen, ob ich den Schatz in meinem Grundstücke oder einem fremden,
ob über oder unter der Erde verborgen habe.
Weshalb die l. 49 § 1 de poss. nicht minder schlimm und die l. 49
pr. eit. beinahe noch übler sein soll, will uns ebenfalls nicht ein-
leuchten. Hier wird es sogar auf die klarste Weise hervorgehoben, daß die
possessio nur in bestimmten, nicht in allen Beziehungen als Recht in
Betracht komme.
Wenn bei der I. 19 ex quibus c. maj. die Fassung „possessio
(für usucapio) sine possessione non consistit“ gerügt wird, so mag
dies dahin gestellt bleiben, im Uebrigen bringt die Stelle den klaren Ge-
danken, daß der Gefangene den Besitz verliere, weil er eben vom tactum
abhängt und deshalb durch den äußeren Akt der Gefangennahme zweifellos
verloren geht. Ebenso vermögen wir aus der l. 29 de poss. nur die
Rechtswahrheit herauszulesen, daß der pupillus den von den äußeren Er-
werbs- und Verlustakten mehr abhängigen Besitz auch verlieren könne. Nur
wenn man mit dem Vorurtheile der hergebrachten Meinung an die Inter-
pretation der Stellen geht und es nicht vorzieht, ihnen eher einen praktisch
verwendbaren Sinn zu entnehmen, als ein bloßes Theorem, geben wir zu,
daß man zu der Bekker'schen Auslegung geführt werden kann.
Daß die Lehre von der Unmöglichkeit der compossessio plurium in
Wliduw nicht die Auffassung des Besitzes als eines Thatbestandes bedinge,
sondern eher das Gegentheil, werden wir unten entwickeln.
Hiernach glauben wir gegen Bekker zwei Thesen gerechtfertigt zu haben,
daß die Römer den Besitz niemals als Thatbestand, sondern nur als
abhängiger von den äußeren Erscheinungen aufgefaßt haben, als das
Eigenthum,
daß die Bezeichnung des Besitzes als jus und res facti zugleich nicht
auf einer Verwechselung von Thatbestand und Rechtsfolge beruht, sondern
die Grundwahrheiten der Besitzlehre zum Ausdrucke bringt.
Wir können nur zugeben, daß Bekker den modernen Anschauungen
gegenüber sein siegreiches Panier entfaltet hat, denn Savigny macht sich