Opitz, lieber das Anerbenrecht.
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Nun wird die Durchführung dieses Grundsatzes bei der Bestimmung der
Person des Anerben zwar nicht so weit ausgedehnt werden können, daß in jedem
gegebenen Falle nur derjenige als Anerbe berufen werden darf, von dem an-
zunehmen ist, daß er von den aus dem betreffenden Besitzthum gemachten wirth-
schaftlichen Erfahrungen die meisten in sich vereinige. Immerhin aber wird dieser
Grundsatz dazu führen, daß man bei der Begrenzung des Anerbenkreises dritte,
zu dem Erblasser nicht in Beziehung stehende Personen ausschließt und nur die
Abkömmlinge als diejenigen, bei denen das Bestehen engerer Beziehungen zu dem
Erblasser und dessen Besitz als Regel angenommen werden kann, als Anerben
zuläßt. Die Mehrzahl der bestehenden Auerbenrechtsgesetzgebungen, insbesondere
diejenigen in Hannover, Laucuburg, Regierungsbezirk Kassel, Braunschweig,
Schaumburg-Lippe, Bremen, haben denn auch diese Regelung angenommen. Rur
in Oldenburg, Westfalen und Schlesien wird der Kreis der Anerben auf die
Geschwister ausgedehnt. Ebenderselbe Grundsatz läßt es aber auch bei der Ver-
schiedenheit der thatsächlich obwaltenden Verhältnisse ratsam erscheinen, innerhalb
des Kreises der Abkömmlinge dem Erblasser die Auswahl freizugeben und nur
für den Fall, daß cs der Erblasser unterlassen hat, den Anerben zu bestimmen,
also aushilfsweise seinerseits Bestimmung zu treffen. Bei diesen letzteren Be-
stimmungen aber wird man ebenfalls in dem obigen Grundsatz einen Anhalt
finden, wenn man sich der Lösung zuneigt, unter den mehreren Abkömmlingen im
Zweifel dem ältesten den Vorzug zu geben, als demjenigen, dem regelmäßig die
längsten Erfahrungen aus der Wirthschaftsführung zur Seite stehen.
Von den Ländern, die das Anerbenrccht eingeführt haben, sind es neben
einigen Theilen von Westfalen nur Oldenburg und der Regierungs-Bezirk Kassel,
in denen eine andere als die Aeltestenfolge (Majorat) besteht, nämlich in dein
ersteren die Erbfolge des Jüngsten (Minorat); in dem letzteren wird der Anerbe
durch den Familienrats) bestimmt.
Die Frage nun, ob und inwieweit cs sich empfiehlt, die im Vorstehenden
erörterten Grundsätze über die Bestimmung der Person des Anerben im Bürger-
lichen Gesetzbuch zu regeln oder der Landesgesetzgebung vorzubehalten,
wird vorwiegend in dem Sinne zu entscheiden sein, daß auch bei dieser, einen
grundlegenden Theil der Rechtsverhältnisse des Anerbenrechts bildenden, Frage
die Reichsgesetzgcbung mindestens einen Anhalt bieten muß. Es wird daher an-
gezeigt sein, im Bürgerlichen Gesetzbuch den Grundsatz aufzunehmen und fest-
zustellen, daß das Anerbenrccht nur beim Vorhandensein von Abkömmlingen
stattfindet, sowie, daß die Bestimmung innerhalb der Letzteren dem Erblasser
überlassen bleibt, im Mangel einer solchen Bestimmung aber. die Aeltestenfolge
(Majorat) cinzutreten hat. Nur in Bezug auf das Letztere wird der Landes-
gesetzgebung die Einführung abweichender Bestimmungen vorzubehalten sein.
Die weitere Frage, ob das Anerbenrccht als ein bloß persönlicher An-
spruch des Erben auf Gutsüberlasfung zu behandeln ist, oder ob es mit der
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