Full text: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß (Bd. 4 (1894))

Zur Auslegung von §§ 104, 105 des Genofsenschaftsges. v. 1. Mai 1889. 209
auch sind noch mehrere Anfechtungsprozesse zu gleichzeitiger Verhandlung und Ent-
scheidung zu verbinden. Der. zweite Absatz des § 105 bestimmt, daß, wenn der
Streitgegenstand die für die sachliche Zuständigkeit der A.G. geltende Summe über-
steigt, das Gericht, sofern eine Partei in einem solchen Prozesse vor der Verhand-
lung der Hauptsache darauf änträgt, durch Beschluß die sämmtlichcn Streitsachen
an das L.G., dessen Bezirke es angehört, zu verweisen hat und daß gegen diesen
Beschluß die sofortige Beschwerde stattfindet. Nach dem 3. Absatz» des § 105
haben die Streitsachen von der Rechtskraft des Beschlusses an als bei dem L.G.
anhängig zu gelten. Aüs diesen Vorschriften folgt, nachdem das L.G. mit der
Verhandlung und Entscheidung der früheren Anfechtungsprozesse chefaßt worden ist,
die Zuständigkeit dieses Gerichts auch für den gegenwärtigen Prozeß. Die Klage
ist allerdings erst nach Ablauf der Nachfrist erhoben. Letztere ging schon am
23. März 1893 zu Ende und die Ladung wurde erst am 29. Juli 1893 zum
Zwecke der Terminsbestimmung eingereicht. Daraus ergiebt sich jedoch nicht, daß die
Klage, wenn sie als Anfechtungsklage im Sinne des § 104 des Gesetzes vom
1. Mai 1889 aufzufasien wäre, anders zu behandeln sein.würde, wie eine recht-
zeitig ailgestellte Anfechtungsklage. Vielmehr wirkt der rechtskräftige Verweisungs-
beschluß für alle Klagen, bezieht sich demnach mit auf die verspäteten Anfechtungs-
klagen. Mit dem Verweisungsbeschlusse wird die Zuständigkeit des L.G.'s für den
ganzen Umfang der Anfechtungsansprüche festgestellt. Die Anfechtung der für voll-
streckbar erklärten Berechnung ist durch § 104 überhaupt zeitlich und gegenständlich
beschränkt worden. Wo möglich, soll über alle derartigen Ansprüche in dem näm-
lichen Rechtsstreite entschieden werden. Das Gesetz will „der Vervielfältigung
selbständiger Anfechtungsprozesse und der Möglichkeit abweichender Entscheidungen in
dmselben Vorbeugen."
Vergl. die Begründung der §§. 101 und 102 des Entwurfes S. 119 flg.
Ob sämmtliche Parteien den Antrag stellen und ob der Antrag in allen
Prozessen gestellt wird, ist nach dem'Gesetz gleichgültig. Die Verweisung erfolgt
auf den Antrag „einer Partei". Das A.G. hat, sobald der Streitgegenstand mehr
beträgt, als die für seine sachliche Zuständigkeit maßgebende Summe, dem rechtzeitig
angebrachten Anträge zu entsprechen. Nunmehr müssm alle Prozesse von dem L.G.
erledigt werden und zwar in Einem Urtheile, da mehrere Prozesse zu gleichzeitiger
Verhandlung und Entscheidung zu verbinden waren. Kann die Verbindung nicht
stattfinden, weil der Kläger in dem letzten Prozesse das Gericht erst nach Verfluß
der Frist angerufen hat, so fällt doch damit noch nicht der Beschluß hinweg, durch
welchen die früher erhobmen Anfechtungsklagen an das L.G. verwiesen worden
waren. Der später austretende Kläger kann nicht genöthigt werdm, zunächst das
A.G. anzugehen und dort dm Antrag auf Verweisung der Sache an das L.G. zu
stellen. Dies würde eine unnöthige Förmlichkeit sein; unnöthig deshalb, weil die
Zuständigkeit des L.G.'s bereits durch den vorher ergangenen Verweisungsbeschluß
herbeigesührt worden ist.
Die angefochtene Entscheidung verletzt sonach den mehrerwähnten § 105 durch
unrichtige Anwendung und war deshalb außer Kraft zu setzen. In der Sache selbst
mußte die Aufhebung des erstinstanzlichen, auf gleichen Gründen beruhmden Ur-
theils ausgesprochen und die prozeßhindernde Einrede verworfm werden. Gemäß
8 500 Nr. 2 der C.P.O. ist der, einer weiteren Verhandlung bedürftige Rechts-
streit an das'Gericht erster Instanz zurückverwiesen worden.

Archiv für Bürgerl. Recht u. Prozeß. IV.

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