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Sachße:
wo die deutsche Sprache schon häufiger zu schriftlichen Aufzeichnun-
gen gebraucht wurde, in der Volkssprache nicht eben sehr gänge
gewesen sein müsse. Denn außerdem würde es, bei dem Fleiße,
mit dem man schon seit Jahren die Schätze unserer altdeutschen
Litteratur gesammelt hat, gewiß auch schon anderwärts entdeckt wor-
den sein. Das Wort scheint also zu den Wörtern zu gehören,
die im Laufe der Zeit außer Gebrauch kamen, und wenn wir —
was bei seiner Stellung in unserem Artikel ohnehin nicht unwahr-
scheinlich ist — es mit irgend einem Aberglauben in Beziehung se-
tzen dürfen, so ist das allmählige Verlorengehen desselben auch voll-
kommen erklärlich. Denn Worte, in denen abergläubische Ansich-
ten sich aussprechen, müssen natürlich, je mehr die Letzteren selbst
allmählig in die niedrigsten Schichten der Bevölkerung sich zurück-
ziehen und am Ende ganz aufgegeben werden, .ebenfalls zuerst aus
der Schriftsprache und zuletzt sogar gänzlich aus der Volkssprache
verschwinden.
Schon hierdurch aber wird es nicht unwahrscheinlich, daß un-
ser ganzer Artikel, und mit ihm das fragliche Wort, aus einer
älteren schriftlichen Ueberliefernng geschöpft sei, die in
einer Zeit ausgezeichnet worden war, wo jenes Wort sich eben noch
mehr im Gebrauche fand, als dieß zur Zeit des Sachsenspiegels noch
der Fall sein konnte. Auch sprechen sich wirklich in unserem Artikel un-
verkennbar strengere, und sonach gewiß auch ältere Rechtsgrundsätze
aus , als im Görlitzer Lehnrechte Art. 20. und im sächs. Lehnrechte
Art. 30. 8. 2. (Homey er'sche Ausgabe.) Ja sogar der vetus auctor
de beuüeüs I. §. 81.» obgleich er gewiß älter als der Sachsenspiegel
ist, läßt schon das mildere, neuere Recht gelten. Denn in Letzterem
heißt es: kropterea nullus, abjudicetur beneficio, si coecus
est, vel aliquo careat membro, nec pro infirmitate aliqua, nisi pro lepra.
Leprosus enim nec beneficia habebit, nec concedere poterit, post-
quam manifesta in eo /fuerit lepra. — Im Görlitzer: Lar umme
ne sal man nieman sin gut vorteilen, of her blint ist, odir
ettisliches lides darbit, nicht wan um ettisliche spche, oder die mi-
selsuchtig ist. — Und im Sächsischen Lehnrechte sogar: man ne
mach ok niemanne sin len nemen dar mede of he blint is,
oder of he jeniges ledes darvet, noch umme neuer hande süke. —
Hingegen in unserem Artikel werden allerdings auch Bliche, Hand-
und Fußlose u. s. w. von der Lehnsfolge, und sogar von der land-