Full text: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft (Bd. 9 (1845))

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Hofmann:
dessen Lage zu denken, an seine Stelle zu setzen und daun richtig
zu beurtheilen, ob er durch einen wirklichen sittlichen Zwang genö-
thigt war, so zu handeln, wie er gethan hat, oder nicht. Es sei
deßwegen das Gericht in Ehrensachen zusammengesetzt aus Ge-
schwornen zur Beantwortung der Thatfrage und aus ständigen Rich-
tern zur Anwendung des Gesetzes.
Man wende nicht ein, daß der „Gevatter Schneider und Hand-
schuhmacher" oder der Bauer, welchen man so oft auf der Ge-
schwornen-Bank erblickt, unfähig sei, die Ansichten und Verhält-
nisse höherer Stände zu beurtheilen. Es trifft dieser Vorwurf die
Zusammensetzung der Geschwornen, nicht das Schwurgericht selbst.
Schon Leue, dieser warme, ja begeisterte Vertheidiger der rheini-
schen Gerichtsverfassung, warnt vor Verwechslung der Form, welche
die Grundsätze eines Vernunft- und naturgemäßen Rechtslebens in
Frankreich erhalten haben, mit den Grundsätzen selbst. An jener
mag geändert und gebessert werden nach den Bedürfnissen und Ei-
genthümlichkeiten jedes Volkes, jedes Zeitalters; die Grundsätze
stehen fest, wie die Gerechtigkeit selbst, deren Verwirklichung auf
ihnen beruht.
Schlagender scheint auf den ersten Blick der andere Einwand:
daß es für den im bürgerlichen Leben höher Gestellten, eine — nach
den Begriffen seines Standes — sehr empfindliche Kränkung sei,
von Männern gerichtet zu werden, welche nach den einmal herr-
schenden Ansichten unter ihm stehn, daß es also schon eine Ehren-
strafe sei, vor ein nicht aus Standesgenossen zusammengesetztes
Schwurgericht gestellt zu werden. Beleuchtet man aber diese Be-
merkung näher, so erscheint sie nicht bloß als eine gänzliche Ver-
läugnung der in allen wohkeingerichteten Staaten als Grundsatz
geltenden Gleichheit vor dem Gesetze, sondern sie enthält auch eine
gänzliche Verkennung der Bedeutung und Würde des Richteramtes.
Das Gericht vertritt das Staatsoberhaupt, als Inhaber aller
Staatsgewalten, unmittelbar und mit einer Selbständigkeit, welche
es kaum als einen bloßen Bevollmächtigten erscheinen läßt. Es ist
eine sehr richtige Form, die nirgends fehlen sollte, jedes richterliche
Urtheil im Namen des Souverains auszusprechen.
Das Gericht, als Organ der Gerechtigkeit, steht so hoch über
allen Einzelnen, daß ihm gegenüber weder die Rangverschiedenheit
unter ihnen in Betracht kommen, noch von der Stellung die Rede

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