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bu Chesne, Der dingliche Anspruch nach dem D. B.G.B.
Umstand, daß der Elftere die Sache bereits in der Hand hält, eine erhöhte Be-
deutung gewinnen, denn nun wird, wer die Sache gegen seinen Willen für sich
benützen will, zuerst seinen Widerstand zu brechen haben (Iwstis). Damit tritt
als Mittel zur Benützung der Besitz in die Erscheinung, der, eben wegen der hohen'
Bedeutung dieser seiner Wirkung, vom Rechte selbständig geschützt wird. Mit dem
beginnenden geselligen Zusammenleben der Menschen befestigt sich nun auch in
ihnen die Ueberzeugung, daß jeder die Sache, die er nicht einem Genossen der be-
ginnenden Rechtsgemeinschaft weggenommen hat, mit seiner physischen Macht und
seinem Willen umfassen dürfe und die Andern ihn darin nicht hindern dürfen.
Damit ist das Eigenthum anerkannt. Drei Elemente also bilden das Eigenthum:
DaS Benützen der Sache für sich, das Besitzen der Sache zum Zwecke der Be-
nützung für sich, das Besitzendürfen der Sache zum Zwecke der Benützung für
sich; das letzte ist das Eigenthumsrecht.
Dies ist m. E. die Struktur des Eigenthums, wie sie sich logisch und ge-
schichtlich ergiebt und wie sie, mit verschiedenartiger Ausgestaltung in Nebenpunktcn,
den historischen Rechten mit Einschluß des neuen bürgerlichen Rechts zu Grunde
liegt; ein Recht, das von dieser Struktur abweichen wollte, würde dies annehmbar
durch bestimmte und unzweideutige Vorschriften thun. Fassen wir nun die weitere
Ausgestaltung des Eigenthums ins Auge.
Der gewonnenen Ueberzeugung der Rechtsgenossen steht aber nicht gleich
eine zur Durchführung der Rechtsüberzeugung hinreichende Zwangsgewalt zur
Seite. Das Recht, das der Berechtigte am Besten selbst zu schützen vermag, hat
daher Aussicht, zuerst zur Anerkennung und Ausgestaltung zu gelangen. Dies
ist das dingliche Recht, an der Spitze das Eigenthum. Es ist gegenüber dem
Vertragsrecht, das auch nach seinem thatsächlichen Inhalte schon das Vorhanden-
sein einer Rechtsgemeinschaft und zu seiner Durchführung, d. i. unter Umständen
zum Eingriffe in fremden Besitz, das Vorhandensein einer starken Zwangsgetvalt
voraussetzt, das stärkere Recht. Seine Wurzeln reichen in Zeiten zurück, wo
es eine Rechtsgemeinschaft noch nicht gab (s. oben), es konnte wegen der stärkeren
Rechtsposition, die cs gewährte, schon in einer Zeit zur Ausbildung gelangen, wo
noch jedermann von seinem Nachbar nicht viel Gutes zu erwarten hatte. Erst
mußte die eigene Willenssphäre gegen fremde Eingriffe sichergestellt werden, ehe an
eine gesicherte Ausgleichung der verschiedenen Willenssphären zu denken war.
Das dingliche Recht gleicht, um ein Bild anzuwenden, der festen Burg, das Ver-
tragsrecht der offenen Landstraße. Das dingliche Recht trägt die Spuren einer
rauheren Zeit noch vielfach an sich; es ist beispielsweise früher und stärker straf-
rechtlich geschützt, als das Vertragsrecht?)
Wenn nun also das Eigenthum insbesondere darin besteht, daß der Wille
des Berechtigten die Sache umfaßt und die Ueberzeugung der Rechtsgenossen dies
*) Anm.: Warum hier vorläufig dingliches Recht und Vertragsrecht als Gegensätze
gebraucht find, wird sich im weiteren Verlauf ergeben.