Full text: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß (Bd. 13 (1903))

Landgemeinde, Unfall, Haftung.

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die Straße zu verlassen. Tat er es dennoch, so kann dies nur in grober
Unachtsamkeit des Weges geschehen sein, oder in grobem Leichtsinn, denn
gerade wenn er des Weges nicht recht kundig war, hatte er alle Ver-
anlassung, zumal des Nachts, aus der breiten sichtbaren Landstraße zu
bleiben. Auf welchen Gründen die Unachtsamkeit des Ehemanns der
Klägerin beruhte, ist dabei gleichgültig: in jedem Falle — auch bei Trunken-
heit — würde eine so erhebliche eigene Willenstätigkeit vorliegen, die
nicht auf irgend welchen Einfluß der Beklagten zurückzusühren wäre, daß
sie, wenn nicht überhaupt schon als einzige, so doch wenigstens als vor-
wiegend den Unfall herbeiführende Mitwirkung im Sinne von § 254 des
D.B.GB. angesehen werden muß, ganz abgesehen von einem Verschulden
der Parteien, so daß eine Abwälzung des Schadens aus die Beklagte als
unbillig erscheint?

1 Anm. d. Red.: In einem andern Falle (0 I 216/01 vom 20. März 1902)
hatte die beklagte Landgemeinde, die wegen Nichtanbringung eines Geländers an
einem Graben für haftpflichtig erklärt wurde, der klagenden Witwe des Getöteten
den Eid darüber zugeschoben, daß ihr Mann bei dem Sturze in den Graben an-
getrunken gewesen sei. Die Eideszuschiebung wurde für unzulässig erklärt, da der
Verunglückte weder als Rechtsvorgänger noch als Vertreter der Klägerin ange-
sehen werden könne, die Klägerin vielmehr die Ansprüche aus dem Unglücksfalle,
auf Grund eigenen Rechts (B.G.V. 8 839) geltend mache. Hierbei wurde noch aus-
gesprochen, daß für die auf öffentlichem Gewohnheitsrechte beruhende Haftung der
Gemeinde der Grund des Verschuldens ihres Vorstandes einflußlos sei; wenn man
bisher in Sachsen den Staat und die Gemeinden für Versehen ihrer Beamten nur
dann habe haften lassen, wenn sie sich bei Ausübung der öffentlichen Gewalt Vor-
satz oder grobe Fahrlässigkeit hätten zu Schulden kommen lassen, so habe dies dar-
auf beruht, daß die Beamten ihrerseits zeither nur in diesem beschränkten Umfange
schadensersatzpflichtig gewesen seien. Nach dem Rechte des Deutschen Bürgerlichen
Gesetzbuches hätten die Beamten fortan auch für geringe Fahrlässigkeit einzustehen;
dies führe von selbst zu einer entsprechenden Erweiterung der Haftpflicht des
Staates und der Gemeinden. Denn der Grund, der zur gewohnheitsrechtlichen
Anerkennung der sächsischen Syndikatsklage geführt habe, sei augenscheinlich der,
daß dem Beamten im Verhältnis zu dem beschädigten Dritten die Schadensersatz-
pflicht abgenommen werden sollte, unter gleichzeitiger Übertragung derselben auf
den leistungsfähigeren Staats- oder Gemeindeverband, wennschon unter Vor-
behalt des Rückgriffs gegen den schuldigen Teil (Grützmann, Lehrbuch II 8 190
S. 176 ff.). Die Grenzen der den Beamten treffenden Haftpflicht bestimme das je-
weilige bürgerliche Recht. Der Syndikatsanspruch würde eine Lücke haben, wenn
der Staat und die Gemeinde jetzt nur noch teilweise für die gegen ihre Beamten
aus 8 839 V.G.B. erwachsenen Schädenansprüche einzustehen brauchten (Otto im
Sächs. Archiv Bd. 9 S. 25 ff.).

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