Full text: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß (Bd. 2 (1892))

15. Entscheidungen

15.1. Neuere Entscheidungen des Reichsgerichts

Neuere Entscheidungen deS Reichsgerichts. 305
Wer dem mit Bezug auf eine prozessuale Einzelerscheinung zurückgelegten
Gedankengang zustimmt, wird ihm einige Nützlichkeit für die Gesammtauffassung
des CivilprozeßrechtS nicht absprechen. Er ist geeignet, uns von der Form-
vorschrift des Prozeßrechts höher denken und gegenüber dem laienhaften Wunsch
nach Natürlichkeit deS Verfahrens Zurückhaltung üben zu lehren. Der für das Vor-
stellungsleben des Laien scheinbar so überaus einfachen Aufgabe des Richters stellen
sich Hindernisse entgegen, — sie hat mit Vorbedingungen zu rechnen, die nur bei
einer Durchschnittsbetrachtung der Civilrechtspflege hervortreten, — bei der Ver-
tiefung in die historische Entwicklung derselben ihrem Längsdurchschnitt nach, bei
der Prüfung des praktischen Querdurchschnitts der Justiz unsrer eignen Zeit, —
und gerade diese Betrachtung ist dem Laien naturgemäß verwehrt, so wie der
rationalistisch operierende Theoretiker absichtlich auf sie verzichtet. Indem eine
Prozeßvorschrist solche Hindernisse paralysirt, solche Vorbedingungen schasst, wirkt
sie segensreich, auch wo sie die Aufgabe der richterlichen Streitentscheidung
im concreten Fall nicht fördert, — ja, wie im vorliegenden Fall, scheinbar direkt
hemmt und beeinträchtigt. Eine lästige Schranke der richterlichen Bewegungs-
fteiheit kann uns unentbehrlich sein, weil sie einen unabsichtlichen Uebergriff des
Richters oder der Partei ausschließt, — ja, vielleicht schon deshalb, weil sie im
rechtssuchenden Publicum die argwöhnische Vermuthung eines solchen Ucbergriffs
nicht auftommen läßt. Gerade in letzterer Beziehung ist der betrachtete Rechtssatz
belehrend. So widerspruchsvoll es scheinen mag, dieser Rechtssatz, den der Laie
in der Theorie vielleicht immer verurtheilen wird, hilft uns im praktischen Resultat
gerade das Kapital bewahren, dessen unsre Richter zu ihrer Amtsführung am
dringendsten benöthigt sind, — das Vertrauen des Volks.
Gritschridungen.
Neuere Entscheidungen des Reichsgerichts
mitgetheilt von Reichsgerichtsrath vr. A. Bolze.
1. Das Reichsgericht hat in Uebereinstimmung mit einer Anzahl ftüherer
Entscheidungen — Reichsgerichtsentscheidungen Bd. 8 S. 413 (1. Senat); Bolze,
Praxis des Reichsgerichts Bd. 1 Nr. 1783 (3. Senat), Bd. 1 Nr. 1788
(2. Senat) mit Bezug auf Anfechtungsprozesse, Bolze Bd. 4,1283; Bd. 11 781,
dann VI. 243/89 und VI. 276/90; Bolze Bd. 8 872 (3. Senat); Entscheidungen
des Reichsgerichts Bd. 7 S. 35 (2. Senat) — in einem Prozesse, welcher über
die Richtigkeit einer von einem Gläubiger im Konkurse angemeldeten, von dem
Konkursverwalter bestrittenen Forderung gegen diesen gefällt wurde, ausgesprochen,
daß der Gemeinschuldner zulässiger, wenn schon am Ausgang unmittelbar beteiligter
Zeuge sei. Das Urtheil V. 255/91 vom 10. Februar/30. März 1892 erörtert zu dem
Behuf eingehend die Stellung des Konkursverwalters und lehnt die Annahme,

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