Full text: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß (Bd. 8 (1898))

122 Mittheilungen aus neueren l§ntscheidungen des Reichsgerichts.
recht zu versagen, und wird das Zeugniß, auf Grund dessen das Armenrecht be-
willigt ist, von der Behörde zurückgezogen und durch ein neues gegentheiliges
Zeugniß ersetzt, so ist der Partei das Armenrecht zu entziehen, weil die Voraus-
setzung, an deren Erfüllung die Bewillung des Armenrechts gebunden ist, nicht
oder nicht mehr besteht. (C.P.O. §§.109,112.) Durch anderen Nachweis kann, ab-
gesehen von dem Falle des § 109 Abs. 2 Satz 2 der C.P.O., das Zeugniß der
Behörde nicht ersetzt werden. Das Gericht ist deshalb außer Stande, selbst zu
untersuchen, ob die Partei zur Bestreitung von Prozeßkosten unvermögend ist.
Lehnt die obrigkeitliche Behörde der Partei die Ertheilung des Armuthszeugnifses
ab oder-nimmt sie das ertheilte Zeugniß zurück, so ist die Partei lediglich darauf
angewiesen, die der betreffenden Behörde Vorgesetzte Instanz um Abhilfe anzu-
gehen; sie ist aber nicht befugt, mit Umgehung dieses Weges vom Gericht Fest-
stellungen zu verlangen, für welche es nicht zuständig ist. (Vergl. Jur. Wochen-
schrift 1894 S. 261 Note 4.)" Beschl. vom 21. 10. 97. Ls. V. 157/97.
11. Aussetzung des Verfahrens aus §139 der C.P.O. im Urkuir-
denprozesse. Die Klägerin klagte aus einem Kaufverträge auf Bezahlung einer
Kaufpreisrate von 1000 Jt nebst Zinsen und auf Vertragszinsen einer noch nicht
fälligen Kaufpreisforderung; der Beklagte erhob, ohne für sein Anführen lediglich
Urkunden und Eideszuschiebung als Beweismittel zu brauchen, die Einrede, daß
er zur Eingehung des Kaufvertrags durch Betrug der Klägerin bestimmt worden
sei. Den nämlichen Einwand hatte er in einem zwischen den Parteien bereits
anhängigen andern Prozesse, in welchem die Klägerin ebenfalls eine Kaufpreisrate
eingeklagt hatte, geltend gemacht. Gestützt hierauf beantragte er Aussetzung des
zweiten Prozesses nach § 139 der C.P.O.; das LG. Dresden gab seinem Anträge
auch statt. Das O.L.G. (IV. Senat, Beschl. vom 1./12. 1897, IV C 95,97)
hob diese Anordnung auf mit der Begründung: Grundsätzlich möge auch im Ur-
kundenprozesse eine Aussetzung aus § 139' der C.P.O. zulässig sein, sie sei aber
nicht zu gestatten, wenn der Beklagte dem im Urkundenprozesse geltend gemachten
Ansprüche Einwendüngen entgegengesetzt habe, die-nicht mit . den in dieser Prozeß-
art allein zulässigen Beweismitteln bewiesen werden könnten; denn durch die
Sistirung des Urkundenprozesses würde sonst dem Beklagten gestattet werden, die
die Beschränkung seiner Verteidigung.regelnden Bestimmungen zu umgehen und
den Zweck des Urkundenprozesscs zu vereiteln. (Ann. des O.L.G.'s Bd. 4 S. .288.)
Die Entscheidung des Reichsgerichts in Bd. 13 S. 378 stehe nicht entgegen, da
es sich dort um eine Aussetzung aus § 140 der C.P.O. gehandelt habe. Das
Reichsgericht ließ dahingestellt, ob den Erwägungen des O.L.G.'s (vergl. gegen
diese v. Wilmowski u. Levy, Komm, zur C.P.O. VII. Aufl. Anm. 3 zu § 139)
Leizustimmen sei, denn jedenfalls sei dessen Entscheidung im Ergebniß gerechtfertigt.
Mit Rücksicht auf das praktische Bedürfnis dem das Gesetz durch die Einführung
und Gestaltung des Urkuudenprozesses habe Genüge leisten wollen, könne in dieser
Prozeßart eine Aussetzung aus § 139 wegen Einwendungen, die nicht mit den in

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