11.23.
Lempp, R., Die Frage der Trennung von Kirche und Staat im Frankfurter Parlament
Besprochen von K. Rothenbücher
Literatur.
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sehen Kirche, die Regierungen erkannten zwar oft ihre Verpflichtung an,
ließen es aber in der Regel dahingestellt, ob diese aus § 35 folge, und
an bestimmten Gegenäußerungen fehlt es auch nicht. Eine nähere
Begründung finden wir nirgends; die Frage wird schließlich reine Partei-
frage. Auch ist zu beachten, daß, wo eine durch § 35 gegebene rechtliche
Verpflichtung angenommen wird, diese Verpflichtung vielfach nur auf
die Verwendung des tatsächlich säkularisierten Vermögens bezogen wird.
Nach dem Erlaß der Verfassung tritt dann die Begründung der kirchlichen
Forderung mit dem R.-Dep.-Hauptschluß ganz in den Hintergrund,
weil nun in deren § 82 die Rechtsgrundlage dafür gefunden wurde. Aber
abgesehen davon wird durch den Gang aller dieser Verhandlungen
überhaupt das Problem beleuchtet, wie sich die Staaten in Deutschland
zu der Frage der Unterhaltung der kirchlichen Einrichtungen gestellt
haben. Ich nehme an, daß das jetzige Eintreten des Staates doch im
wesentlichen gradlinig aus territorialistischen Anschauungen herausge-
wachsen ist, die gerade noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts in der
Praxis sehr wirksam waren. Aber weil sie in der Theorie damals schon
überwunden waren, wurde man sich dessen nicht so bewußt und man
suchte nach einer anderen Begründung für das, was man tat. So ist
es wohl mit zu erklären, daß man zur Begründung des Eintretens des
Staates für kirchliche Bedürfnisse immer wieder auf den Säkularisations-
akt von 1803 zurückkam, obwohl dieser selbst, zwar auch bedingt durch
die territorialistischen Auffassungen, rechtshistorisch betrachtet, auf die
Gestaltung jenes Verhältnisses nur mittelbar einwirkte. Weil zur Be-
urteilung dieses geschichtlichen Entwicklungsganges in den Mitteilungen
Sägmüllers schätzanswertes Material zusammengetragen ist, verdienen
sie in dieser Zeitschrift dankende Erwähnung.
Jena. Joh. Niedner.
Richard Lempp, Die Frage der Trennung von Kirche
und Staat im Frankfurter Parlament (a. u. d. T.: Bei-
träge zur Parteigeschichte, herausgegeben von Adalbert
Wahl). Tübingen, J. C.B.Mohr 1913. 240 S.
Diese Untersuchung ist freudig zu begrüßen. Eine im Jahre 1909
erschienene verdienstliche Arbeit Karl Neundörfers über den „Älteren
deutschen Liberalismus und die Forderung der Trennung von Staat
und Kirche“, von beträchtlich kleinerem Umfang, hatte die Verhand-
lungen der Paulskirche nur insoweit berücksichtigt, als für jene ideen-
geschichtliche Aufgabe notwendig war. Lempp sucht in seiner ver-
ständnisvollen Abhandlung dagegen die Stellung sämtlicher Parteien
zu dem Verhältnis von Staat und Kirche, und Kirche und Schule gründlich
zu erforschen. Er widmet eine besonders eingehende und ausführliche
Darstellung der Stellung der katholischen Abgeordneten der Paulskirche
zu dem Gegenstand. Hier hat er wesentlich Neues gebracht. Er kommt
Zeitschrift für Rechtsgeschichte. XXXV. Kan. Abt. IV. 36