Full text: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Kanonistische Abteilung (5 (1915))

Die Geltung des kanonischen Rechts in der evang. Kirche. 351

selbst nur die Klägerin berechtigen würde, das Verlöbnis
aufzuheben, geschweige daß der Beklagte befugt wäre, des-
halb von demselben einseitig zurückzutreten“.1)
Im Erkenntnis vom 27. Mai 1845 stellte das Ober-
appellationsgericht Lübeck2) fest, daß ,,ein protestanti-
scher Geistlicher nicht gezwungen werden kann, Zeugnis
abzulegen weder über dasjenige, was er im Beichtstühle
als Beichtvater erfährt, noch selbst über die Mitteilungen,
die ihm sonst in seiner Eigenschaft als Seelsorger im Ver-
trauen gemacht werden. Zwar folgt dies nicht aus der
dafür angeführten Stelle des kanonischen Rechts c. 13
X 5, 31; denn diese Stelle kann nur von der Eröffnung
im Beichtstühle verstanden werden3) ,.daher wird
denn auch die Stelle von der Glosse und den Kanonisten
nur in diesem Sinn verstanden.4) Allein jene Regel ist den
Grundsätzen gemäß, welche bei der Herübemahme der
Lehre des kanonischen Rechts von der Heiligkeit des Beicht-
siegels in das protestantische Kirchenrecht befolgt worden.
Denn da den Protestanten nicht, wie den Katholiken, die
Pflicht obliegt, dem Geistlichen ihre Sünden einzeln zu be-
kennen, mithin bei ihnen die Ohrenbeichte wegfällt, so muß
der Pflicht des Geistlichen zur Verschwiegenheit, welche
aus jener Herübemahme folgt, ein anderes Prinzip zu-
grunde liegen, und dies kann nur darin bestehen, daß auch
der Protestant, wenn er das Bedürfnis fühlt, zur Erleichte-
rung des Gewissens seinem Seelsorger spezielle Sünden zu
bekennen, und dadurch Trost zu suchen5). Aus
diesem Gesichtspunkt betrachtet, geht aber die Verpflich-
tung des Geistlichen zur Verschwiegenheit, und sein Recht,
ein gerichtliches Zeugnis über das ihm Anvertraute abzu-
lehnen, viel weiter als bloß auf dasjenige, was ihm im
Beichtstühle anvertraut wird“.6)
x) cf. auch Eichhorn, Grunds, d. Kirchenr. II S. 439.
2) Seuffert 1. c. 11 nr. 190 8. 298f. 3) Wird näher ausgeführt.
4) D. Erk. zitiert u. a. Gonzalez Tellez ad. h. 1.
5) Die Privatbeichte besteht nach wie vor in der evangelischen
Kirche durchaus zu Recht, was d. Erk., nur mit andern Worten, auch
ausführt.
®) cf. noch Sam. Stryck, de credentia re vel. diss. Frankof. III
nr. 8 cap. 2 § 55. 63. 67; J. H. Böhmer, jus eccl. Prot. II tit. 21 § 8;

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer