Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 57 = 2.F. 21 (1910))

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Krückmann,

mal durch die Unbestreitbarkeit des Rechtsscheins: er ist weder
vor noch nach seiner Benutzung zu widerlegen. Hierin besteht
der große Unterschied und Fortschritt gegenüber dem außer-
prozessualen Rechtsschein. Die zweite Steigerung der Wirkung
besteht in der öffentlichen Beurkundung des Rechtsscheins, die
die siegreiche Partei verlangen kann. Diese bedeutet die stärkste
Erleichterung des Beweises. Der Rechtsschein beweist sich nicht
selber, sondern muß dadurch bewiesen werden, daß die Tat-
sachen, auf die er sich gründet, bewiesen werden. Diesen Tat-
sachenbeweis liefert in vollkommenster Weise die öffentliche Ur-
kunde, die das Gericht über das Urteil ausftellt. In der
prozeßrechtlichen Literatur wird es zu wenig gewürdigt, daß das
Urteil bestimmt ist, in dieser öffentlichen Erscheinungsform zu
funktionieren, daß dies sogar etwas Wesentliches an dem Urteil
ist. Die mündliche Verkündung des Urteils innerhalb der vier
Wände des Gerichtszimmers statt in aller Oeffentlichkeit vor
versammelter Gemeinde ist wohl für die anwesende siegreiche
Partei ein gutes Beruhigungsmittel, aber eine praktische Ver-
wertung gestattet doch eigentlich erst die öffentliche Beurkundung.
Sie ist erst der richtige Ausdruck des Offenbarseins, der jeder-
zeitigen Beweisbarkeit, jederzeitigen Verwertbarkeit, d. h. Voll-
streckbarkeit und dauernden Unbestreitbarkeit, Unanfechtbarkeit,
alles in einem und in höchstmöglicher technischer Vollendung.
Man darf nicht vergessen, daß der Prozeß dazu bestimmt ist, dem
siegreichen Kläger nicht bloß ein mündlich verkündetes Urteil zu
verschaffen, daß ihm vielmehr auch das Recht auf eine öffent-
liche Urkunde von unbestreitbarem, unwiderleglichem Glauben
zusteht. In dieser öffentlichen Urkunde gipfelt der Urteilsrechts-
schein, sie ist sein höchster und sein reinster Ausdruck. Es ist
darum eigentlich nicht genug, wenn man sagt, ein Urteil habe
deklaratorische Wesenheit; deklarieren ist zu wenig. Das Urteil
kann deklarieren, ohne dauernd offenbar zu machen, aber ge-

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