Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 38 = 2.F. 2 (1898))

Laienverstand und Rechtsprechung.

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kann doch der Umstand, daß wir uns von einem Vorgang
im Recht ein bestimmtes Bild gemacht haben — meist um
eine Anzahl Folgesätze gleich einzuschließen, wie bei dem „Ueber-
tragen" einer Forderung —, kein Grund sein, weil dieses
Bild auf einen anderen ähnlichen Vorgang nicht paßt, den
Vorgang selbst für „unmöglich" zu erklären; deshalb, weil wir
uns für einen gewissen Rechtserfolg — für die Abtretung einer
Forderung — das Bild einer Uebertragung geschaffen haben,
dann, wenn der Gläubiger dem Bürgen, nachdem dieser die
Forderung gezahlt hat, sie überträgt, diesen Erfolg, der
erstrebt wird, als „unmöglich" hinzustellen.
Wenn das Gesetz sagt, daß der Schuldner frei werden
soll, wenn er seine Schuld gezahlt hat, so verfolgt das Gesetz
den praktischen Zweck, daß das Vermögen des Schuldners nur
um so viel vermindert werde, als die auf demselben lastende
Schuld betrug; es ist aber gar kein Grund vorhanden, wenn
ein Dritter die Schuld gezahlt hat, also gar keine Ver-
minderung des Vermögens des Schuldners stattge-
funden hat, denselben Erfolg eintreten zu lassen. Noch
weniger kann man deswegen, weil der Gläubiger gerade
erklärt hat, er wolle seine Forderung dem Bürgen „übertragen",
den von den Parteien bezweckten Erfolg, daß der Bürge die
gleiche Leistung vom Schuldner solle fordern können, die
früher der Gläubiger fordern konnte, versagen; denn das wäre
eine richtige Buchstabeninterpretation.
Es geht hieraus hervor, daß es durchaus unzulässig ist,
„das praktische Leben um des Begriffes willen zu knechten".
„Der Richter hat seine Entscheidung lediglich nach dem Gesetz
unter Würdigung des sachlichen Zweckmomentes desselben unter
Vermeidung des Rechnens mit Schuldefinitionen abzugeben" *).
l) Vergl. hierüber besonders die treffliche Abhandlung von Stampe,
Die Lehre von der Abtretung der Vindikation, Archiv f. d. civil. Praxis,

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