Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 38 = 2.F. 2 (1898))

Laienverstand und Rechtsprechung.

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die Auslegung und Ergänzung der Rechtsgeschäfte nach der
Verkehrssitte anordnen, so sagen sie damit zugleich, daß
der Richter den auf diese Weise festgestellten, von den
Parteien erstrebten wirthschastlichen Zwecken seinen Rechts-
schutz angedeihen lassen soll —, und zwar ganz
gleich, ob das vorliegende Rechtsgeschäft unter
den einen oder anderen juristischen Begriff ge-
bracht werden kann oder nicht.
Das Gefährliche bei der Anwendung der juristischen Be-
griffe ist stets das. daß wir vielfach den Erfolg, den das Ge-
setz an einen Thatbestand knüpft, uns durch der Natur ent-
nommene Anschauungen nahe zu bringen suchen und uns die
vom Gesetz angeordnete Rechtswirkung, wie die Wirkung einer
Naturerscheinung als absolut nothwendig, als logisch noth-
wendig vorstellen, während der Gesetzgeber, der nur den
Schutz wirthschastlicher oder geselliger Interessen durch seine
Vorschrift bezweckt, gar nicht gehindert ist, an den gleichen
Lebensvorgang das eine Mal die eine, das andere Mal —
im Interesse des Verkehrs — eine andere Wirkung zu knüpfen.
Bestimmt der Gesetzgeber, daß, wenn eine Person der
anderen Eigenthumsrecht an einer Sache übertragen will, sie
selbst Eigenthumsrecht an der Sache haben muß, und be-
gründen wir „logisch" diese Bestimmung mit dem Satz:
„nemo plus juris transferre potest, quam ipse habet“, so
wäre diese Begründung wohl für das Reich der Thatsachen
richtig; denn wenn ich nur 20 M. in der Tasche habe, so kann
ich schlechterdings nur 20 M. auf einen Anderen über-, hin-
übertragen. Für die Begründung des Rechtssatzes ist sie
offenbar falsch, denn Art. 307 H.G.B. zeigt, daß auch der
Dieb, der gewiß kein Eigenthumsrecht am gestohlenen Inhaber-
papier hat, wenn er das Papier einem Anderen zu Eigenthum
überreicht, Eigenthumsrecht für den Erwerber zur Entstehung

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