Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 38 = 2.F. 2 (1898))

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Dr. Danz,

Sobald der Richter also bei der Auslegung von Privat-
willenserklärungen denselben Maßstab anwendet, wie bei der
Auslegung von unseren heutigen Gesetzen, ohne Berücksichtigung
der Verkehrssitte, entscheidet er formalistisch, verübt er die
schlimmste Buchstabeninterpretation, die es geben kann — und
entscheidet direkt falsch, gegen das Gesetz, weil er die
gesetzliche Vorschrift der §§ 157, 242 B.G.B., sowie
des § 133 B.G.B. nicht beachtet, wo ausdrücklich für die
Auslegung aller Willenserklärungen das Hasten am Buch-
staben verboten ist*).
Bequem ist die Buchstabeninterpretation freilich, mag sie
bei Rechtsgeschäften oder bei Gesetzen vorgenommen werden;
denn man verwendet bei ihr ja eine so minimale Dosis von
Geist! Man nimmt einfach die Worte — seien es die im
Rechtsgeschäft, seien es die im Gesetz — stets in der allge-
meinsten Bedeutung, ohne sich irgendwie um die näheren
Umstände, die wirthschastlichen oder sonstigen Zwecke, die ver-
folgt werden, zu kümmern, und spricht dann den hiernach
sich ergebenden Rechtserfolg aus. Und das nennt man dann
auch noch „Interpretation"!
Es wird durch die Bestimmungen der §§ 157, 242 auch
einer nur leider zu weit verbreiteten Ueberschätzung der
juristischen Begriffe ein Riegel vorgeschoben, einer Art
der Rechtsprechung, die zu einer Verweigerung des Rechts-
schutzes für den mit dem konkreten Rechtsgeschäft bezweckten
Erfolg gelangt, weil sich das nicht „konstruiren" lasse, weil es
„logisch unmöglich" sei, und die damit das Rechtsgefühl aufs
gröblichste verletzt. Denn wenn die erwähnten Paragraphen

i) Gegen die Buchstabeninterpretation bei der Auslegung von Rechts-
geschäften vergl. Endemann, Einführung, S. 4=22ff.; meine Aus-
legung, S. 80 ff.

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