Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 38 = 2.F. 2 (1898))

Laienverstand und Rechtsprechung.

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die dadurch beeinflußte Anschauung der betheiligten Berufs-
kreise ein einheitliches Gewohnheitsrecht bilde, es nicht in der
Macht des Gesetzgebers liege, zu bestimmen, wie sich dieses
zum geschriebenen Gesetzesrecht verhalte. Dies sei eine Frage,
die nur von der Theorie nach Maßgabe der jeweilig im öffent-
lichen Leben herrschenden Anschauungen beantwortet werden
könne. Es wird daselbst (S. 8774) noch besonders hervor-
gehoben, daß Rechtssätze, die sich in der Judikatur unter dem
Namen der Analogie, der einschränkenden oder ausdehnenden
Auslegung, der feststehenden Praxis und dergl. herausbildeten,
in Wahrheit Gewohnheitsrecht, und dieses mit Fug und Recht
ein Produkt der fortbildenden Thätigkeit des Richters sei. Daß
solches Recht auf demselben Wege, auf dem es entstanden,
wieder beseitigt werden könne, thue seinem Charakler als Recht
keinen Abbruch.
In der gemeinrechtlichen Theorie herrscht nun heutzutage
zweifellos die Ansicht, daß das Gewohnheitsrecht dieselbe Kraft
hat wie das vom Staat gesetzte Recht, daß es demnach auch
das staatliche Gesetz aufheben oder abändern könne. Doch
herrscht bereits jetzt Streit darüber, wie in Zukunft nach dem
Inkrafttreten des B.G.B. sich das Berhältniß des Gewohn-
heitsrechts zu den im B.G.B. aufgestellten Rechtssätzen gestalten
werde. Man geht hierbei offenbar übereinstimmend von dem
Gedanken aus, daß durch das B.G.B. alles bestehende
Privatrecht — insoweit es nicht besonders aufrecht erhalten
ist — vernichtet wird, und daß es sich namentlich um die
Frage handle, ob sich nach dem Inkrafttreten des B.G.B.
ein partikulares Gewohnheitsrecht bilden könne, oder ob
solche Bildung durch Art. 2 der Reichsverfaffung, wonach die
Reichsgesetze den Landesgesetzen Vorgehen, ausgeschlossen ist*).
i) Gierte, Deutsches Privalrecht, Bd. l, §22. Eck, Sammlung
von Vorträgen über den Entwurf eines B.G.B., Heft i, S. i. Ende-

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