Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 35 = N.F. 23 (1896))

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L. 3 acob i,

an die uns hier speziell interessirende Frage, ob der in Gesetz-
gebung und Rechtspflege hergebrachte Gebrauch der deutschen
Worte „Vertrag" und „Versprechen" dem Erforder-
niß der Gemeinverständlichkeit genügt, d. h. ob
er mit dem Sprachgebrauche des Lebens über-
einstimmt?
Man wird nicht umhin können, diese Frage zu ver-
neinen. Denn nach dem Sprachgebrauche des Lebens ist
„Versprechen" das Rechtsgeschäft der einseitigen
Selbstverpflichtung, „Vertrag" das Rechtsgeschäft der
wechselseitigen Selbstverpflichtung. — Das uns
Juristen durch den Rechtsunterricht beigebrachte und jetzt an-
gewöhnte abweichende Verständniß ist eine Treibhauspflanze,
welche im Volke und im Geist der deutschen Sprache keinen
Boden hat.
Vergleichen wir den oben angegebenen, sinngemäßen Ge-
brauch jener Worte mit den hierbei interessirenden Arten der
Rechtsgeschäfte, so ergiebt sich Folgendes:
Man unterscheidet Rechtsgeschäfte, welche
1) Verbindlichkeiten begründen (Errichtungs-
akte),
2) bestehende Verbindlichkeiten a u f h e b e n (Aufhebungs-
akte, z. B. Erlaß),
3) auf Grund bestehender Verbindlichkeit Rechte über-
tragen oder Rechte an Rechten bestellen (Rechts-
veränderung durch Erfüllungsakte), oder
4) bestehende Rechte a u f h e b e n (Rechtsveränderung durch
Aufhebungsakte, z. B. Verzicht).
Die Ausdrücke Versprechen und Vertrag beziehen
sich sinngemäß nicht auf die Kategorien 3 und 4, sondern
nur auf die Kategorien 1 und 2.

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