Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 35 = N.F. 23 (1896))

Von der Solidarität and unerlaubten Handlungen. 107
schädigenden Erfolg den Betheiligten für dessen Folgen ver-
antwortlich mache3). Nur wenn ftt solchen Fällen der wirkliche
Thäter sich ermitteln lasse, seien die Anderen frei4); im ent-
gegengesetzten Falle hafteten sie solidarisch für den ganzen
Schaden!
Freilich war auch der I. Entwurf nicht einwandfrei.
Wenn die Motive sagten, der erste Satz des § 714 gebe
das geltende Recht wieder, so war das nichts weniger als
richtig. Die Solidarität der Haftung mehrerer Theilnehmer
an einer unerlaubten Handlung ist das Produkt logischer
Folgerung, wo die besprochenen Prämissen obwalten; und
diese Prämissen sind so sehr die Regel, daß man sich daran
gewöhnt hat, die Solidarität als ausnahmslose Vorschrift
hinzunehmen, ohne viel nach ihrem Grund und ihrer Be-
rechtigung im Einzelfall zu fragen, — wenigstens in der
Praxis. Verschiedene Urtheile des Reichsgerichts aus dem Gebiete
des französischen Rechts, in welchem das erlösende Wort von
der solidarischen Haftung der mehreren Theilnehmer einer
unerlaubten Handlung sich nicht findet, und welche weiter unten
besprochen werden sollen, beweisen, wie schwer man ohne

3) Daß die n. Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs des
Bürg. Gesetzbuchs ein solches Resultat nicht beabsichtigt hat, vielmehr nur
eine sog. „gemeinverständlichere Fassung" des Paragraphen erstrebte, beweist
nur die Gefahren, die eine derartige Gemeinverständlichkeit auf Kosten der
juristischen Prägnanz unter Umständen in sich birgt. Es ließen sich zahl-
reiche Beispiele aus dem H. Entwurf anführen, in denen eine patriarchalischere
Ausdrucksform mit einer Verwässerung des juristischen Gedankens Hand
in Hand geht.
4) Z. B. wenn im obigen Beispiel ermittelt würde, wer den tödt-
lichen Stich beigebracht hat. — Ein anderes Beispiel: Zwei Kutscher
machen eine Wettfahrt. Der eine überfährt dabei einen Passanten, so daß
derselbe eine Verletzung davonträgt. Die beiden Kutscher würden solidarisch
für den Schaden haften, falls derjenige Kutscher nicht ermittelt wird, der
den Verletzten überfahren hat. In diesem Falle ist der andere frei.

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