Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 62 = 2.F. 26 (1913))

Der Begriff des Prozeßvergleichs usw. 331
der Prozeß wieder anhängig ist? Wenn wirklich, bevor die
Anfechtung erfolgt ist, bereits Prozeßbeendigung mit voller
Wirksamkeit, wenn auch nur für kurze Zeit, eingetreten wäre,
dann würde sie für alle Zeit eingetreten sein, und dies be-
deutete dann eine Durchbrechung des Grundsatzes der einheit-
lichen Natur des Prozeßvergleichs und die Notwendigkeit der
Erhebung eines neuen Prozesses anstatt der Fortführung des
alten. Kretschmar^) lehrt denn auch in der Tat, daß bei
bloßer Anfechtbarkeit der Prozeß auch nach der Anfechtung
beendigt bleibe. Er geht davon aus, daß der Prozeßvergleich
wirksam gewesen sei, solange die Anfechtung nicht erfolgt sei;
deshalb wäre die Prozeßbeendigung mit dem Vergleichsabschluß
bereits eingetreten. Die Vorschrift des bürgerlichen Rechts
über die Rückwirkung, wonach ein anfechtbares Rechtsgeschäft
als von Anfang an nichtig anzufehen sei, wenn es angefochten
würde, gelte formell nicht für das Prozeßrecht und könne auch
nicht entsprechend angewandt werden, und zwar schon deshalb
nicht, weil es sich hier nicht nur um das Verhältnis der
Parteien zueinander handle, sondern auch um das Verhältnis
zum Gericht; dies verlange die Berücksichtigung des öffent-
lichen Interesses. Diese Ansicht ist von scheinbar zwingender
Logik, allein sie kann nicht für zutreffend gehalten werden,
weil diese Grundanschauung über die Wirkung der Anfechtbar-
keit im Prozeß nicht zwingend ist. Das Gesetz will das an-
fechtbare Geschäft nur vorläufig für gülüg halten, es soll aber,
wenn die Anfechtung erfolgt, von Anfang an als nichtig be-
trachtet werden. Die Anfechtbarkeit ist also in Wahrheit eine
schwebende, von dem Willen des Anfechtungsberechtigten ab-
hängige Nichtigkeit, verbunden mit der Annahme vorläufiger
Geltung86). Der Schwebezustand, das ist das Entscheidende,
85) Zeitschr. f. Rechtspflege in Bayern 1907, 339.
86) Enneccerus-Lehmann, Das bürgerliche Recht 2, I

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