Full text: Zeitschrift für deutsches Staatsrecht und deutsche Verfassungsgeschichte (Bd. 1 (1867))

und den des deutschen Staatörcchts insbesondere. 457
Selbständigkeit haben. Allein die natürlichen Schwächen der Völker und
des Völkerrechts drängen unaufhaltsam zu Versuchen, dem Recht auch eine
für alle Fälle sichernde Machtunterlage zu geben und dieses Streben ge-
winnt an innerer Berechtigung, wenn und soweit der Machtmangel auch
die Ursache ist, daß die Anstrengungen des Volkes zur Verwirklichung
seiner national-individuellen Aufgabe erfolglos bleiben müssen und dadurch
seine Existenz als eine zur Selbständigkeit berechtigte Gesammtindividua-
lität in Frage gestellt werden kann. Auch hier sollte die freie Einsicht in
die wahren Principien und der friedliche Vertrag über das denselben Ent-
sprechende die möglichen besseren Zustände herbeiführen. Allein der natür-
lich widerstrebende Egoismus bereits vorhandener Existenzen, ihre Selbst-
überhebung, ihr Glaube an ein berechtigtes selbständiges Dasein, ihre
Hoffnung auf eine zwar zweifelhafte, ihnen aber möglicherweise doch noch
günstige Zukunft, die bald latente bald offen hervortretende Ueberzeugung
jedes Particularismus, daß er nicht nur selbständig sein dürfe, sondern
auch berechtigt sei, alle Zweifel nur zu seinen Gunsten gelöst zu sehen,
ja, vielleicht einmal das Allgemeinere oder Ganze werden zu können —
dies Alles steht einer rein friedlichen Entwickelung feindlich entgegen und
treibt nicht blos Eroberungssüchtige, sondern auch die Träger höherer,
ethisch-richtigerer Ansichten mitunter zum Eroberungskrieg.
f) Ist national-individuelle, rechtliche resp. auch als solche anerkannte
Selbständigkeit der einzelnen betreffenden Gesammtwesen die absolute Vor-
aussetzung jedes wahren Völkersystems, somit auch jeder weiteren Stufe
zur Ausbildung einer geordneteren Einheit der Menschheit, so sind es
nothwendig nicht blos absolute, oder moralisch-philosophische und juristisch-
unformulirte, sondern auch wirkliche positive Rechtssätze, welche als über
der Selbständigkeit und dem Rechte jedes einzelnen staatlichen Gliedes des
Völkersystems stehend betrachtet werden müssen. Wir befinden uns hier-
an dem eigentlichen Knotenpunkt aller der vielen und unvermeidlichen Colli-
sionen zwischen den Consequenzen des Völkerrechts und der Souveränetät
der Staaten. Ein Völkerrecht kann h. z. T. ebensowenig mehr ohne eine
Vielheit wirklich souveräner Staaten, wie irgend ein wahrhaft souveräner
Staat ohne Völkerrecht gedacht werden. Das Völkerrecht ist die Ordnung
der freien Association der Völker; die Souveränetät die rechtlich unwider-
stehliche Macht der Gesammteinheit eines staatlichen Volks über alle seine
Glieder und dadurch auch die Basis der rechtlichen Selbständigkeit des Staats
im Völkerleben. Es giebt keine äußere und innere Souveränetät getrennt,
etwa so, daß ein Gesammtwesen, welches nur die eine oder die andere
besäße, oder, wie wohl auch gesagt wird, nach der einen oder nach der
anderen Seite einen höheren Grad von Selbständigkeit hätte, im vollen

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer