Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

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von Mittelst«edt: Die Form der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
des als angemessen zu erweisenden Lohnes erbiete. Kläger weist die-
Inquisition ab. Der Grund ist der: Kläger erwartet, daß dem Ver-
klagten, zur Herstellung seines aus dem streüigen Vertrage entnommenen
Einwandes, der Beweis des Inhaltes des Vertrages auferlegt werden
wird. Er denkt noch nicht daran, sich mit dem Betrage der Rechnung zu be-
gnügen, sondern will sich nur über die Beweismittel des Gegners insormiren
'und nach Gelegenheit den Prozeß fallen lassen und eine neue Klage erheben.
In beiden Beispielen stimmen die schriftlichen Anträge mit dem
mündlichen Vortrage nicht überein. Der Richter hat auch über den
Willen der Partei keine andere Aufklärung erhalten, als daß die Partei
ein Hinausgehen über den formulirten Antrag nicht billigen will. Es
bleibt ihm also nichts übrig, als nur dasjenige Material des Vortrages
zu benutzen, welches als Grund des schriftlichen Antrages bezeichnet ist.
Und wenn wir den äußersten Fall annehmen, daß der Antrag nicht
allein den Vortrag nicht deckt, sondern sogar beide, Vortrag und An-
trag, sich widersprechen und die Differenz nicht zu vermitteln ist? Als-
dann kann sich freilich der Richter nur au die wörtliche Auslegung des
schriftlichen Antrages selbst halten. Das erscheint als ein Geständniß
des Sieges der Schriftlichkeit über die Mündlichkeit, denn soweit der
Richter auf Auslegung schriftlicher Anträge beschränkt wird, hört die
Mündlickkeit vuf. Freilich hört alle Mündlichkeit auf, wenn die Worte
unverständlich sind und unverständlich bleiben. Ich wüßte auch nicht,
welchen Werth die mündliche Verhandlung mit einer Person haben soll,
die so gut wre taubstumm ist.
Man prüfe ob in dem nachstehenden Entwürfe den hier entwickel-
ten Grundsätzen genügt ist:
1. In der mündlichen Verhandlung tragen die Anwälte ihre An-
träge nebst faktischer und rechtlicher Begründung vor.
2. Den Anwälten steht das Recht zu, zu bestimmen, was unstrei-
tig und was streitig ist.
-3. Ueber die Erheblichkeit einer Thatsache oder Richtigkeit einer
Rechtsausführung zu entscheiden, haben die Anwälte nicht das Recht.
4. Die Anwälte sind an den faktischen Umfang des Vorverfahrens
insoweit gebunden, als sie die Grenzen der mündlichen Verhandlung in
der Regel nicht über das Material hinausführen dürfen, von dessen
Existenz Kenntniß zu nehmen, der Gegner durch das Vorverfahren Ver-
anlassung gehabt hat.
5. Die rechtlichen Ausführungen und die Anträge des Vorver-
fahrens dürfen geändert werden.
6. Die Anwälte haben ihre Schluß-Anträge mit einer kurzen Be-
gründung, welche die wesentlichen Momente des Vortrages berührt, in
schriftlicher Form redigirt, dem Richter am Schlüsse der Verhandlung
zu übergeben.
7. Das Gericht hat über die Formalien des Vorverfahrens nur
soweit zu entscheiden, als es zur Entscheidung hierüber angerufen wird.
8. Das Gericht hat darüber zu entscheiden, ob die durch das Vor-
verfahren für die mündliche Verhandlung bestimmten Grenzen eingehalten
sind, oder ob eine beantragte Erweiterung dieser Grenzen zuzulassen ist.

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