4.
Abhandlungen
4.1.
Die Form der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit und das sogenannte Prinzip der Mündlichkeit
:
(Ein fernerer Beitrag zu dem erwarteten Entwurfe eines Prozeßgesetzes für den Norddeutschen Bund.)
Von Herrn Justizrath v. Mittelstaedt zu Neuwied
Abhandlungen.
i.
Die Form der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit und
das sogenannte Prinzip der Mündlichkeit.
(Ein fernerer Beitrag zu dem erwarteten Entwürfe eines Prozeßgesetzes
für den Norddeutschen Bund.)
- Vom Herrn Justizrath v. Mittel staedt zu Neuwied.
Der gegenwärtige Aufsatz beabsichtigt, den in zwei früheren Auf-
sätzen: „Prozeßgrundsätze')" und „der Grundsatz der Befreiung des
Richters und der Parteien im Prozesse" * 2) entwickelten Grundsätzen eine
praktische Anwendung zu geben. Der Grundsatz, welcher dem todten
und alles Leben vernichtenden Formalismus die Herrschaft im Prozesse
streitig macht, führt heute den Namen „Prinzip der Mündlichkeit."
Dieser Name erklärt sich aus der geschichtlichen Erfahrung, daß der
Formalismus einem schriftlichen Prozesse seine Ausbildung verdankt.
Der Inhalt des Namens ist aber vielmehr die Richtung des-
Prozesses auf eine materiell richtige Entscheidung, zu
diesem Zwecke die Entfernung des Formalismus, des Zwan-
ges, der Fiktionen und die Substituirung des Grundsatzes
der Freiheit der Parteien wie des Richters in Beschaffung,
beziehungsweise Benutzung eines vollständigen, unver-
fälschten Materials. Der Name hat freilich so wenig mit der
Sache zu thun, daß sowohl die Form der Schriftlichkeit als die Form
der Mündlichkeit diesem „Prinzipe der Mündlichkeit" zu dienen geeignet
sind. Soweit geht die Beweisführung des § 1.
Die Grenzen des Aufsatzes liegen in der Beantwortung zweier
Fragen. Die erste Frage lautet: Welches Maaß der Anwendung
der mündlichen und der schriftlichen Form dient dem Ziele
der Vollständigkeit und Sicherheit der Information des
Richters, auf welches Ziel der ganze Prozeß gerichtet sein
muß, wenn sein Endzweck die Findung des wirklichen Rechtes
ist? Die zweite Frage, welche als die weitere die erste Frage einschließt,
lautet: Welche Gestaltung des Prozesses dient diesem Ziele,
auf welches auch die Form der Verhandlung gerichtet sein
Verlag der I. H. Heuser'schen Buchhandlung. Neuwied und Leipzig 1868.
2) Band II., Nr. 12 dieser Zeitschrift.