Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 47 = 2.F. 11 (1904))

Zeitpunkt des Zugehens bei Willenserklärungen. 381
jener Zeitpunkt so scharf wie möglich präzisiert werden. Denn
indem er den Augenblick bezeichnet, in welchem die von dem
Erklärenden gewollten Rechtsfolgen eintreten, gibt er uns das
Datum des wirksam gewordenen Rechtsgeschästes an. Da-
durch gewinnt er aber in den meisten Fällen auch auf die
Beantwortung der Vorfrage: ob die Willenserklärung des
Absenders überhaupt ein gültiges Rechtsgeschäft darstelle, eine
ausschlaggebende Bedeutung ^). Wenn beispielsweise das
Schriftstück verloren geht, noch ehe sein Inhalt zur Kenntnis
des Adressaten gelangt ist, so hängt die Entscheidung der
Frage, ob diese Tatsachen der Wirksamkeit der Willenserklärung
im Wege stehen, davon ab, ob der Brief zur Zeit seines Ver-
lustes bereits „zugegangen" war oder nichts. Und wenn es
sich darum handelt, ob eine Willenserklärung rechtzeitig wider-
rufen worden und darum unwirksam geblieben ist, so kommt es
nach § 130 Abs. 1 S. 2 des Gesetzbuchs wiederum darauf an, ob
der Widerruf nicht später als die Willenserklärung „zugegangen"
ift b). Ferner: der § 131 B.G.B. verlangt für die Gültig-
keit der Willenserklärung grundsätzlich die volle Geschäftsfähig-
4) Mit Rücksicht auf die Tragweite, die hiernach dem § 130 in der
Lehre von den Rechtsgeschäften zukommt, ist er (bezw. der § 74 des ersten
Entwurfes) von Zitelmann, a. a. O. S. 98 als der „Zentralparagraph
des ganzen Rechtsgeschäftsgebietes" bezeichnet worden.
5) Bis zum Moment des Zugehens trägt also der Absender, von
diesem Zeitpunkt an der Empfänger die Gefahr der Uebermittelung.
6) Rudolf Leonhard, Allgemeiner Teil des B.G.B. (Berlin
i9vo), S. 285, ist der Meinung, daß sich nach B.G.B. der Beginn der
Unwiderruflichkeit und der Anfang der Bollwirksamkeit der Erklärungen
nicht immer zu decken brauchen. So soll z B. bei Briefen, die einem
Dritten zugesandt und von dem Empfangsberechtigten an bestimmter Stelle
abgeholt werden, die rechtzeitige Vollendung schon vor der Abholung an-
zunehmen sein, während für die Widerruflichkeit nicht das Gleiche gelte.
Ein solches Auseinanderfallen von Wirksamkeit und Unwiderruflichkeit ist
aber nach geltendem Rechte angesichts des klaren Wortlautes des § 130
schlechterdings unmöglich.

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