Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 47 = 2.F. 11 (1904))

Rechtssicherheit und Verkehrssicherheit.

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leichter einen Erwerbslustigen, wenn dieser die Gewißheit hat,
einen rechtlich gesicherten Erwerb zu machen.
Die Verkehrssicherheit hat noch eine zweite Seite. Sie
kommt nicht nur beim Erwerbe von Rechten in Betracht, sondern
auch bei der Befreiung von Verpflichtungen (Ab-
^oßung dinglicher Belastungen, Tilgung von Schulden), und
verlangt, daß auch diese nicht vereitelt werde durch Umstände,
die dem Verpflichteten unbekannt sind. Auch hier bildet sie
den Gegensatz zu der Rechtssicherheit, welche gebietet, daß dem
Berechtigten (z. B. dem Gläubiger) nicht ohne sein Wissen und
Wollen der Anspruch untergeht und die etwa an dessen Stelle
getretene (Erfüllungs-) Leistung entgeht.
Also nur in dem Svannungsmoment, wo für den Einen
die Gefahr vorliegt, ein Recht wider Willen einzubüßen und
für den Andern die Gefahr, infolge getäuschter Erwartung ein
Recht nicht zu erwerben oder eine Pflicht nicht loszuwerden,
nur in diesem Augenblick geraten Rechtssicherheit und Verkehrs-
sicherheit miteinander in Konflikt.
In der gleichen Lage befinden sich zwei Personen da, wo
es sich nicht um die Uebertragung eines bereits bestehenden,
sondern um die Begründung eines neuen Rechts
handelt: die Rechtssicherheit gebietet, daß niemandem ohne sein
Wissen und Wollen eine Verpflichtung oder Belastung auferlegt
wird i), während die Verkehrssicherheit auch hier verlangt, daß
der vertrauende Erwerber geschützt werde.
Und nun können wir den Gegensatz allgemeiner formulieren:
Die Rechtssicherheit (im engeren Sinne des Wortes)
besteht darin, daß eine ungünstige Veränderung des gegen-
wärtigen Bestandes an vermögensrechtlichen Beziehungen einer
i) Ich denke hier natürlich nicht an sog. gesetzliche Verpflichtungen,
sondern nur an solche, die durch Rechtsgeschäft entstehen — es handelt sich
nur um Verkehrs-Resultate.

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